Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Turnunterricht die Mannschaften wählten.
Aber in der Bibliothek, bei den freundlich lächelnden Bibliothekaren, war ich immer willkommen.
»Es mag seltsam anmuten«, sagte Bernardo Caccini mit seinem ruhigen Lächeln, »aber wir sind ein Bund von Bibliothekaren. Wir teilen unsere Bibliophilie, unsere Liebe zum Buch. Zu Texten, Worten, Geschichten. Zur Form, zum Einband, Papier, Leim – all das! Und seit fünfhundert Jahren hüten wir gemeinsam ein Geheimnis.«
»Welches?«
»Das des Schatzes. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Unser Orden wurde, wie gesagt, von Machiavelli und Michelangelo ins Leben gerufen und von Nostradamus und Cosimo I . unter dem Namen Der Heilige Hüterorden von Cäsars Schriften gegründet. Ich bescheide mich damit, ihn kurz Hüter der Schrift zu nennen. Und die Mitglieder waren immer Bibliothekare. Mit mir und meinen Vorgängern an der Spitze, den Chefbibliothekaren der Laurenziana. So lange haben die Hüter der Schrift das Geheimnis bewacht. Loyal und gewissenhaft. Wir tragen diesen Ring« – er hob die Hand mit dem Siegelring –, »seit Nostradamus ihn auf seinem Sterbebett dem nächsten Großmeister des Ordens nach ihm überreicht hat. Seitdem wird der Ring von einem Großmeister an den nächsten weitergegeben. Und nun steckt er, wie Sie sehen, an meinem Finger. Wenn ein Großmeister der Hüter der Schrift sein Amt aufgibt, steht schon der nächste bereit, um seinen Platz einzunehmen. Nur die Integersten, die das moralische und ethische Rückgrat haben, werden in den Orden aufgenommen und dürfen den Treueid ablegen. Nicht viel anders als bei den Freimaurern. Aber ohne deren Hang zu Religiösem und Okkultem. Das Ablegen des Treueeides bindet uns bis an unser Lebensende an den Orden. Wenn ich nicht mehr bin, steht mein stellvertretender Chefbibliothekar bereit, mein Amt zu übernehmen.«
»Wer sind die anderen Ordensmitglieder?«, fragte ich.
»Wir sind nicht viele. Ich und zwei weitere Chefbibliothekare – der eine in Wien, der andere in Paris – bilden zusammen Cäsars Loge . Eine Art innerer Rat. Die Aufgabe von Cäsars Loge ist es, dafür zu sorgen, dass der Großmeister und Ringträger nach seinem Tod ersetzt wird. Dass der Richtige, ein würdiger Kandidat, zum neuen Chefbibliothekar an der Laurenziana ernannt und in das Geheimnis eingeweiht wird. Nur ich und die beiden anderen Ratsmitglieder aus Cäsars Loge kennen dieses Geheimnis. Außer uns gibt es vierundzwanzig mehr oder weniger nichtsahnende Chefbibliothekare, über ganz Europa verteilt, die nicht wissen, wovon sie ein Teil sind. Nicht einmal wir drei Logenmitglieder wissen, wer die vierundzwanzig anderen sind. Nostradamus hat ein ausgetüfteltes System entwickelt: Die vierundzwanzig Bibliothekare wissen nichts voneinander. Sie wissen nichts von mir oder Cäsars Loge. Sie wissen nur, dass sie Teil einer geschlossenen und geheimen Bruderschaft mit dem Namen Der Heilige Hüterorden von Cäsars Schriften sind, mehr nicht. Beim Antritt ihres Postens als Chefbibliothekar der jeweiligen Bibliothek bekommen sie ein unsigniertes, auf 1565 datierendes Dokument mit dem Familiensiegel der Medici zu lesen, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass sie von nun an in den Heiligen Hüterorden von Cäsars Schriften aufgenommen sind und dass ihr Amt geheim ist. Nostradamus wollte es so.«
»Wer überreicht ihnen das Dokument?«
»Was glauben Sie?«, sagte er sanft lächelnd. »Die Freimaurer. Wer sonst? Seit Ende des 16. Jahrhunderts verwalten die Freimaurerlogen in Europa die vierundzwanzig Dokumente und sorgen für die Einweihung jedes neuen Chefbibliothekars. Aber auch die Freimaurer wissen nicht, was der Heilige Hüterorden von Cäsars Schriften ist oder was er bewacht. Aber loyal und mit Diskretion erfüllen sie die ihnen von Nostradamus auferlegte Aufgabe. Und selbst wenn im Laufe der Jahre irgendwann einmal etwas schiefgegangen wäre, weil sich zum Beispiel jemand nicht an die Instruktionen gehalten hätte, wäre das kein größeres Drama, da die vierundzwanzig Chefbibliothekare keine wirkliche Funktion haben. Zu Nostradamus’ Zeiten waren sie tatsächlich Wächter und Hüter im eigentlichen Wortsinn. Aber heute nicht mehr. Heute ist von dem System nur noch die Hülle übrig.«
»Vierundzwanzig Chefbibliothekare in einer Bruderschaft, die so geheim ist, dass sie nicht einmal wissen, was sie bewachen?«, fasste ich skeptisch zusammen.
»Die Bibliothekare und die Freimaurer betrachten das Ganze wohl eher als historische
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