Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
hochgewachsen, königlich, vollkommene Figur und ein liebliches maskenhaftes Gesicht mit zwei wundervollen spanischen Augen, aus denen uns Mord entgegenblitzte.
»Was bedeutet Ihr Eindringen – und diese beleidigende Botschaft?« fragte sie und hielt uns das Blatt Papier hin.
»Das brauche ich wohl nicht zu erklären, Madam. Dafür empfinde ich zuviel Hochachtung vor Ihrer Intelligenz – wenn ich auch gestehen muß, daß Ihre Intelligenz letzthin überraschenderweise versagt hat.«
»Und bei welcher Gelegenheit, Sir?«
»Als Sie annahmen, Ihre gemieteten Schläger könnten mir eine Arbeit vergraulen. Kein Mann würde meinen Beruf erwählen, der sich nicht von der Gefahr angezogen fühlte. So waren Sie es persönlich, die mich zwang, den Fall des jungen Maberley zu untersuchen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Was habe ich mit gemieteten Schlägern zu tun?«
Holmes wandte sich gelangweilt ab.
»Ja, ich habe Ihre Intelligenz wirklich überschätzt. Schönen Nachmittag noch.«
»Halt! Wohin gehen Sie?«
»Zu Scotland Yard.«
Wir waren noch nicht halbwegs zur Tür, als sie uns einholte und seinen Arm ergriff. Binnen eines Augenblicks hatte sie sich aus Stahl zu Samt verwandelt.
»Setzen Sie sich doch, Gentlemen. Bereden wir die Angelegenheit. Ich fühle, daß ich Ihnen gegenüber offen sein kann, Mr. Holmes. Sie sind ein Gentleman. Der Instinkt einer Frau findet so etwas schnell heraus. Ich werde Sie als Freund betrachten.«
»Ich kann Ihnen gleiches nicht versprechen, Madam. Ich bin zwar kein Vertreter des Gesetzes, aber so weit meine schwachen Kräfte reichen, verkörpere ich die Gerechtigkeit. Ich bin bereit, Ihnen zuzuhören, und dann sage ich Ihnen, wie ich handeln werde.«
»Es war natürlich töricht von mir, einem tapferen Mann wie Ihnen zu drohen.«
»Ihre wirkliche Torheit, Madam, haben Sie begangen, als Sie sich einer Bande von Strolchen in die Hand gaben, die Sie erpressen oder verraten kann.«
»Nein, nein! So einfältig bin ich nicht. Ich habe Ihnen versprochen, offen zu sein, so dürfen Sie auch wissen, daß keiner von ihnen, Barney Stockdale und Susan, seine Frau, ausgenommen, den blassesten Schimmer hat, wer der Auftraggeber ist. Und was diese beiden angeht: Ich bediene mich nicht zum ersten Mal…« Sie lächelte und nickte uns mit bezaubernd koketter Vertraulichkeit zu.
»Ich verstehe. Sie sind bereits erprobt.«
»Sie sind gute Jagdhunde, die keinen Lärm machen.«
»Bei solchen Jagdhunden findet sich die Eigenart, daß sie früher oder später die Hand beißen, die sie füttert. Sie werden wegen des Einbruchs eingesperrt. Die Polizei ist ihnen schon auf den Fersen.«
»Sie nehmen an, was ihnen beschieden ist. Dafür bezahle ich sie. Ich werde in der Angelegenheit nicht erscheinen.«
»Es sei denn, ich bringe Sie hinein.«
»Nein, nein, das werden Sie nicht tun. Sie sind ein Gentleman. Und es handelt sich um das Geheimnis einer Frau.«
»Vor allem müssen Sie das Manuskript zurückgeben.«
Sie brach in perlendes Gelächter aus und ging zum Kamin. Dort lag eine verkohlte Masse; sie stocherte mit dem Schüreisen darin herum. »Soll ich Ihnen das zurückgeben?« fragte sie.
Sie sah so schelmisch und köstlich aus, wie sie mit herausforderndem Lächeln vor uns stand, daß mir der Gedanke kam, sie könnte von allen Verbrechern diejenige sein, mit der Holmes in die größten Schwierigkeiten kommen würde. Doch er war gegen Gefühle unempfindlich.
»Das besiegelt Ihr Schicksal«, sagte er kalt. »Sie handeln sehr entschlossen, Madam, aber diesmal haben Sie den Bogen überspannt.«
Sie warf das Schüreisen klirrend zu Boden.
»Wie hart Sie doch sind!« rief sie. »Soll ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen?«
»Ich schätze, ich könnte sie Ihnen erzählen.«
»Aber Sie müssen sie mit meinen Augen sehen, Mr. Holmes. Sie müssen sie vom Standpunkt der Frau betrachten, die im letzten Moment die Gefahr erkennt, daß all ihr Streben vereitelt wird. Kann man einer solchen Frau einen Vorwurf daraus machen, wenn sie sich schützt?«
»Die ursprüngliche Sünde haben Sie begangen.«
»Ja, ja! ich gebe es zu. Douglas war ein lieber Junge, aber es fügte sich, daß er in meine Pläne nicht paßte. Er wollte die Heirat – Heirat, Mr. Holmes, mit einem Bürgerlichen ohne einen Penny. Nichts anderes hätte ihn zufriedengestellt. Dann wurde er halsstarrig.
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