Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
habe Sie heute früh gewarnt.«
»Schon gut, Masser Holmes, ich hab alles überlegt, was Sie gesagt haben, und ich will nix mehr mit Sache von Masser Perkins zu tun haben. Wenn ich Ihnen helfen kann, Masser Holmes, will ich es gern tun.«
»Dann sagen Sie mir, wer hinter diesem Job steht.«
»Beim Himmel, Masser Holmes, ich hab Ihnen schon die Wahrheit gesagt. Ich weiß nix. Barney is mein Boss, da kriege ich die Befehle, das is alles.«
»Gut, aber denk immer dran, Steve: Die Dame in dem Haus und alles, was sich unter ihrem Dach befindet, steht unter meinem Schutz. Vergiß das nicht.«
»Schon gut, Masser Holmes. Ich werd dran denken.«
»Dem habe ich ordentlich Angst um die eigene Haut eingejagt, Watson«, bemerkte Holmes, als wir weitergegangen waren. »Ich glaube, er würde seinen Auftraggeber verraten, wenn er wüßte, wer es ist. Es fügt sich glücklich, daß ich einiges über die Bande von Spencer John weiß und daß Steve dazugehört. Aber der Fall, Watson, ist etwas für Langdale Pike, und den suche ich jetzt auf. Wenn ich zurück bin, sehe ich vielleicht in der Angelegenheit klarer.«
Für den Rest des Tages sah ich von Holmes nichts mehr, konnte mir aber sehr wohl vorstellen, wie er ihn verbrachte, denn Langdale Pike war etwas wie ein lebendes Buch, das über alle gesellschaftlichen Skandale Auskunft erteilte. Dieses sonderbare, matte Geschöpf verbrachte die Stunden seines Wachseins im Erker eines Clubs in der St. James’ Street. Er war der Empfänger und Übermittler allen Klatsches der Hauptstadt. Es hieß, er verdiene eine vierstellige Summe damit, daß er jede Woche die Skandalblätter, die ein neugieriges Publikum versorgten, mit Artikeln belieferte. Wann immer in den brodelnden Tiefen des Londoner Lebens ein Wirbel entstand, wurde das von diesem menschlichen Automaten exakt registriert. Holmes verhalf Langdale diskret zu Kenntnissen, wofür der sich gelegentlich revanchierte.
Als ich am nächsten Morgen meinen Freund in seiner Wohnung wiedersah, merkte ich an seinem Verhalten, daß alles gut stand. Dennoch gab es bald eine sehr unerfreuliche Überraschung in Gestalt des folgenden Telegramms:
›Bitte sofort kommen. Nächtlicher Einbruch ins Haus der Klientin. Polizei benachrichtigt. Sutro‹
Holmes pfiff. »Das Drama hat seinen Höhepunkt erreicht, und viel schneller, als ich erwartete. Hinter der Angelegenheit steckt eine mächtige Triebkraft, Watson, aber das setzt mich, nach allem, was ich gehört habe, nicht in Erstaunen. Ich beging einen Fehler, als ich nicht Sie bat, die Nachtwache zu halten. Sutro, der Rechtsanwalt, hat sich eindeutig als ein schwaches Rohr im Wind erwiesen. Nun, da müssen wir eben noch einmal nach Harrow Weald hinausfahren.«
Wir fanden das Anwesen der Mrs. Maberley in einem Zustand vor, der sich wesentlich von dem geordneten Haushalt vom vergangenen Tag unterschied. Eine kleine Gruppe Neugieriger stand am Gartentor, und zwei Konstabler untersuchten die Fenster und die Geranienbeete. Drinnen trafen wir einen grauhaarigen alten Herrn, der sich als der Rechtsanwalt vorstellte, und einen geschäftigen, rotgesichtigen Inspektor, der Holmes wie einen alten Freund begrüßte.
»Ich fürchte, Mr. Holmes, hier gibt’s für Sie keine Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Ein ganz gewöhnlicher Einbruch, den die gute alte Polizei längst im Griff hat. Experten werden nicht benötigt.«
»Ich bin sicher, der Fall liegt in guten Händen«, sagte Holmes. »Sie meinen, es ist nur ein gewöhnlicher Einbruch?«
»Ganz recht. Wir wissen sehr genau, was für Leute das gewesen sind und wo wir sie finden können. Es handelt sich um die Bande von Barney Stockdale, zu der auch der große Neger gehört. Sie sind in der Gegend gesehen worden.«
»Ausgezeichnet! Was haben sie erbeutet?«
»Nun, wie es scheint, ist ihnen nicht viel in die Finger gefallen. Mrs. Maberley wurde chloroformiert, und das Haus… Ah, da kommt ja die Dame selbst.«
Unsere Freundin von gestern sah sehr blaß und schlecht aus; auf eine junge Bedienstete gestützt, betrat sie das Zimmer.
»Sie gaben mir einen guten Rat, Mr. Holmes«, sagte sie mit einem kläglichen Lächeln. »Zu dumm, daß ich ihn nicht befolgte. Ich wollte Mr. Sutro nicht belästigen, und so war ich ohne Schutz.«
»Ich hörte erst heute morgen von der Sache«, erklärte der Rechtsanwalt.
»Mr. Holmes hatte mir geraten, einen Freund ins Haus zu nehmen. Ich schlug den
Weitere Kostenlose Bücher