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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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glaube, da ist nichts zu machen.«
    »Wieso nicht?«, hatte O’Connell gefragt.
    »Die Fahrt ging zum Flughafen Logan, Internationales Abflug-Terminal«, lautete die Antwort. »Schmeißen Sie sie weg, oder bringen Sie sie zu so ’ner Sammelstelle von der Caritas.«
    »Na ja«, sagte O’Connell, damit es locker klang, »Da wird jemand nicht allzu viel von den Sehenswürdigkeiten haben, wo immer die Dame ihren Urlaub verbringt.«
    »Pech für sie«, meinte der Fahrdienstleiter.
    Das war stark untertrieben, fand Michael O’Connell, während er innerlich kochte.
    Jetzt war er einen halben Block von ihrer Wohnung entfernt auf dem Posten und sah drei jungen Männern dabei zu, wie sie Kartons aus ihrem Gebäude trugen. Auf der Straße parkte in zweiter Reihe ein mittelgroßer Kleintransporter, und sie hatten es offenbar eilig, den Job zu erledigen und abzuhauen. Wieder schärfte O’Connell sich ein, Ruhe zu bewahren. Er machte ein paar Lockerungsübungen mit den Schultern, deren Muskeln sich verspannt hatten, und ballte ein halbes Dutzend Mal die Fäuste, um sie zu entkrampfen. Dann schlenderte er gemächlich die Straße entlang bis zu der Stelle, an der die drei beschäftigt waren.
    Einer der Jungs trug zwei Bücherkisten, auf denen er zusätzlich eine Lampe balancierte, als O’Connell an den Eingangsstufen erschien. Der Kerl schwankte ein wenig unter dem Gewicht.
    »Hey, geht’s rein oder raus?«, fragte O’Connell.
    »Is’n Auszug«, erwiderte der Junge.
    »Warte, ich nehm dir was ab«, bot O’Connell an und schnappte sich die Lampe, bevor sie auf den Bürgersteig fiel. Er war wie elektrisiert, als er die Finger um den Metallfuß legte, als berührte er nicht nur einen Gegenstand, der Ashley gehörte, sondern ihre Haut. Er merkte, wie er die Lampe streichelte,und erinnerte sich genau, wo sie in der Wohnung auf dem Nachttisch gestanden hatte. Er sah im Geiste vor sich, wie sie einen Lichtkegel über ihre Kurven warf. Sein Atem beschleunigte sich, und er hatte fast einen Anflug von Schwindel, als er sie dem Möbelpacker wiedergab.
    »Danke«, antwortete der Junge und zwängte das Utensil respektlos in eine Lücke im Laster. »Bleiben nur noch der verfluchte Schreibtisch, das Bett und ein, zwei Läufer, dann wär’s geschafft.«
    O’Connell schluckte schwer und deutete auf eine rosa Tagesdecke. Er wusste noch genau, wie er sie in jener Nacht mit den Füßen weggeschoben hatte, bevor er sich über sie beugte.
    »Das sind nicht eure Sachen?«
    »Nee.« Der Junge streckte den Rücken. »Wir machen den Umzug für die Tochter eines Professors. Werden ziemlich gut bezahlt.«
    »Nicht schlecht«, sagte O’Connell langsam, als habe er an jedem Wort zu kauen; er hatte große Mühe, sich den Anschein beiläufiger Neugier zu geben. »Das muss das Mädchen sein, das auf dem zweiten Stock wohnt. Ich wohne da drüben …« Er deutete vage auf ein paar Gebäude. »Die ist ziemlich sexy. Geht sie aus Boston weg?«
    »Florenz in Italien«, sagt der Mann. »Hat’n Auslandsstipendium bekommen.«
    »Nicht schlecht, alle Achtung.«
    »Kannst du laut sagen.«
    »Na ja, dann noch viel Spaß mit dem Zeug.« O’Connell winkte und schlenderte davon. Er überquerte die Straße und fand einen Baumstamm, an den er sich lehnen konnte.
    Er atmete hastig und tat nichts gegen den eisigen Druck, der sich in ihm aufbaute. Er sah zu, wie Ashleys Möbel Stück für Stück im Kleinlaster verschwanden, und fragte sich, ob das,was er da sah, vielleicht nur Einbildung war. Er fühlte sich wie vor einer Kinoleinwand, auf der alles real zu sein scheint, es aber nicht ist. Eine Taxifahrt zum Internationalen Flughafen Logan. Ein Trio College-Studenten, die an einem stillen Sonntagmorgen Ashleys Sachen packten. Ein Privatdetektiv mit einer Adresse in Springfield, der gegenüber seinem eigenen Wohnhaus parkte und ihn fotografierte. Michael O’Connell wusste, dass das irgendwie zusammenpasste, er konnte sich nur noch nicht vorstellen, wie. Nur über eines war er sich sicher: Falls Ashleys Leute glaubten, sie könnten sie mit einem Flugzeugticket aus seiner Reichweite schaffen, dann lagen sie gründlich falsch.
    Damit machten sie die Sache für ihn nur noch bedeutend interessanter. Er würde sie finden, und wenn er dafür nach Italien fliegen musste.
    »Niemand bestiehlt mich«, flüsterte er. »Niemand nimmt mir weg, was mir gehört.«
     
    Catherine Frazier zog die Fleecejacke ein wenig enger um sich und sah zu, wie ihr Atem kleine Dampfkringel bildete.

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