Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
vorsichtiger Mann, dachte sie. Sie nahm an, dass er für die etwas heiklere Korrespondenz eine Reihe Postfächer unterhielt. Deutlich sichtbare Briefköpfe und Absender waren für jemanden in seinem Gewerbe nicht unbedingt hilfreich.
     
    Er hatte sie vor einigen Tagen während seiner Rückkehr aus Boston von unterwegs aus angerufen. »Ich denke, Ihr Problem lässt sich nie wieder blicken, Ms. Freeman-Richards.«
    Sie war zu Hause gewesen und hatte Hope gegenübergesessen. Beide hatten sie gelesen: Hope war in Dickens’
Geschichte zweier Städte
versunken, während sie selbst liegengebliebene Teile der letzten Sonntagsausgabe der
New York Times
überflogen hatte.
    »Das sind gute Neuigkeiten, Mr. Murphy. Ich bin hocherfreut, das zu hören.
    Was genau führt Sie zu diesem Schluss?« Es fielihr leicht, in ihren gewohnten, vernünftigen Anwaltston zu wechseln.
    »Nun ja, ich weiß nicht, wie
genau
Sie das wissen wollen. Jedenfalls ist unser gemeinsamer
Freund …«
Er lachte bei dem Wort. »Na, jedenfalls haben wir uns unterhalten. Es war ein gutes Gespräch. Eine ausführliche Diskussion über das Für und Wider seiner, sagen wir mal, Verhaltensweise. Und am Ende des vorhersehbaren Gesprächsverlaufs räumte Mr. O’Connell ein, dass es in der Tat ein erhebliches Problem darstellen könnte, Ashley weiter nachzustellen. Ihm wurde zur entsprechenden Einsicht verholfen, und er hat sich unzweideutig dahingehend geäußert, sich unverzüglich aus ihrem Leben zu entfernen.«
    »Und Sie haben es ihm abgenommen?«
    »Ich hatte guten Grund, ihm zu glauben, Ms. Freeman-Richards. Seine Aufrichtigkeit war offensichtlich.«
    Sally hatte geschwiegen, um zwischen den Zeilen von Murphys Ausführungen zu lesen.
    »Und niemand wurde verletzt?«, hatte sie sich erkundigt.
    »Nicht dauerhaft, wenn man davon absieht, dass Mr. O’Connell jetzt vielleicht an gebrochenem Herzen leidet, aber das bezweifle ich. Allerdings hat sich ihm die Erkenntnis tief eingegraben, dass es äußerst leichtsinnig wäre, mit seinem Verhalten fortzufahren, und nachdem ich ihm einige harte Fakten vor Augen geführt beziehungsweise unter die Nase gerieben oder in sonstiger Form nahegebracht habe, hat er sich zwar erst einmal ein bisschen die Zähne daran ausgebissen, sie aber am Ende geschluckt. Notgedrungen. Ich denke nicht, dass Sie weitere Einzelheiten zu hören wünschen, Ms. Freeman-Richards. Möglicherweise würden sie Ihnen ein bisschen Unbehagen bereiten.«
    Sally fand, dass ihr Gespräch von einer erlesenen Höflichkeitwar, so als müssten die zarten Ohren einer Dame der viktorianischen Gesellschaft geschont werden, damit sie nicht erbleichte und ihr in einem Anfall von Melancholie die Sinne schwanden.
    »Nein, vermutlich nicht.«
    »Dachte ich mir. Ich schicke Ihnen morgen oder übermorgen einen detaillierten Bericht. Und sollte Ihnen irgendetwas Verdächtiges auffallen, rufen Sie mich bitte an, Tag und Nacht, und ich werde mich darum kümmern. Ich meine, es ist nie vollkommen auszuschließen, dass Mr. O’Connell es sich noch einmal anders überlegt. Aber ich wage es zu bezweifeln. Er scheint mir ein schwacher Mensch zu sein, Ms. Freeman-Richards. Ein ganz kleiner Mann, und damit meine ich nicht seine Körpergröße. Aber ich glaube, der ist jetzt hundertprozentig aus Ihrem Leben verschwunden. Sollten Sie in Zukunft einmal investigativen Bedarf haben, hoffe ich, dass Sie auf mich zurückkommen …«
    Sally war ein wenig erstaunt darüber, wie Murphy O’Connell sah. Seine Beschreibung deckte sich nicht ganz mit ihren eigenen Schlussfolgerungen. Doch es war beruhigend zu hören, und so schob sie etwaige Ungereimtheiten nur allzu gerne beiseite.
    »Natürlich, Mr. Murphy. Wie’s aussieht, haben Sie die Dinge genau so geregelt, wie ich gehofft hatte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, das zu hören.«
    »Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Ma’am.«
    Sie legte auf und sagte zu Hope: »Also, das war’s.«
    »Was war was?«
    »Ich hab dem Mistkerl einen Privatdetektiv rübergeschickt, den ich kenne. Und wie vermutet, ist er gegenüber einem erheblich stärkeren und bedeutend härteren und erfahreneren Mann ganz schnell eingeknickt. Typen wie der sind von Grundauf feige. Man braucht ihnen nur klarzumachen, dass man sich nichts gefallen lässt, und schon ziehen sie den Schwanz ein und verschwinden.«
    »Meinst du?«, zögerte Hope. »Ich weiß nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass der Kerl dafür zu entschlossen ist, auch wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher