Das Opfer
O’Connells Sicherungsdisketten mitzunehmen. Bis dahin lief es mehr oder weniger so, wie Murphy es vorausgesehen hatte. O’Connell war so berechenbar, wie er vermutet hatte. Er spürte das Unbehagen des jungen Mannes, er wusste, dass er Unschlüssigkeit und Zweifel auslöste, indem er ihm mit der Waffe auf dem Kopf herumpochte. In allen Konfrontationen, dachte Murphy, gelangt man bei derBefragung an einen Punkt, an dem man die Identität der Zielperson schlichtweg unter die eigene Kontrolle bekommt und sie sich gefügig macht. Wir sind auf dem richtigen Weg, dachte Murphy. Wir machen eindeutig Fortschritte.
»Kein tolles Leben, was, Mikeyboy? Ich meine, sieht mir nicht gerade nach einer rosigen Zukunft aus.«
»Mir genügt’s.«
»Na schön. Aber wie kommst du auch nur für einen Moment auf die Idee, Ashley Freeman würde sie gerne mit dir teilen?«
O’Connell schwieg, und Murphy versetzte ihm mit der freien Hand von hinten einen Hieb. »Beantworte gefälligst meine Frage, Arschloch.«
»Ich liebe sie«, sagte O’Connell. »Und sie liebt mich.«
Murphy schlug ihn wieder. »Da bin ich anderer Meinung, du mieses Stück Dreck, du Abschaum aus der Gosse.«
Aus O’Connells Ohr kam ein dünnes Rinnsal Blut.
»Die Frau hat Klasse, Mikeyboy. Im Unterschied zu dir hat sie Zukunftschancen. Sie kommt aus einer gut situierten Familie, sie ist gebildet und hat Großes vor. Du dagegen kommst aus der Scheiße.« Murphy unterstrich die letzten Worte mit ein paar kräftigen Ohrfeigen. »Und du wirst in der Scheiße enden. Ja, was denn wohl? Knast? Oder glaubst du wirklich, du schaffst es, draußen zu bleiben?«
»Ich bin sauber. Ich hab kein Gesetz übertreten.«
Die wiederholten Schläge zeigten Wirkung. O’Connells Stimme kippte ein wenig, und Murphy glaubte ein gewisses Beben herauszuhören.
»Tatsächlich? Soll ich mir dich mal etwas genauer unter die Lupe nehmen?«
Murphy war wieder beim Ausgangspunkt angelangt, und noch einmal klopfte er O’Connell mit dem Pistolenlauf auf den Nasenrücken, um auf eine Antwort zu pochen.
»Nein.«
»Dachte ich mir.«
Er packte O’Connell am Kinn und verdrehte es schmerzhaft. Er sah einen Anflug von Tränen in seinen Augenwinkeln. »Aber Mikey, meinst du nicht, du solltest mich ein bisschen höflicher bitten, mich aus deinem Leben rauszuhalten?«
»Bitte halten Sie sich aus meinem Leben raus«, sagte O’Connell ruhig und langsam.
»Also, das würde ich ja gerne. Wenn ich mir die ganze Sache sozusagen objektiv anschaue, meinst du nicht auch, dass es da wirklich das Allerbeste für dich wäre, absolut sicherzustellen, dass du mich nie im Leben wiedersiehst? Dass dieses kleine Plauderstündchen mit absoluter Gewissheit das letzte Mal ist, dass wir uns begegnen? Hab ich recht?«
»Ja.« O’Connell wusste nicht recht, welche Frage er eigentlich beantworten sollte, er wusste nur, dass er nicht noch einmal geschlagen werden wollte. Und obwohl er nicht glaubte, dass der Mann, der vor ihm stand, ihn erschießen würde, hätte er es nicht beschwören können.
»Du musst mich aber erst einmal davon überzeugen, nicht wahr?«
»Ja.«
Murphy lächelte. Dann klopfte er O’Connell leicht auf den Kopf.
»Damit wir uns auch richtig verstehen«, sagte Murphy. »Wir sind hier so traut beisammen, um zwischen uns, von Mann zu Mann, so etwas wie eine einstweilige Verfügung auszuhandeln. Genauso, als wären wir damit vor Gericht gegangen. Nur dass unsere scheiß Abmachung für immer gilt, kapiert? Du weißt genau, worin eine Bedingung besteht. Halt dich von ihr fern. Kein Kontakt. Allerdings ist unsere Verfügung eine Art Sonderregelung, nur zwischen dir und mir, Mikeyboy, und nichtso ein windelweicher Wisch, den ein alter Furz von einem Richter ausgestellt hat und um den du dich einen Scheißdreck scherst. Unsere Abmachung ist garantiert bindend.«
Mit diesen letzten Worten rammte Murphy O’Connell die Faust in die Wange und streckte ihn zu Boden. Murphy war, die Automatik in der Hand, bereits über ihm, bevor der junge Mann auch nur einen Gedanken fassen konnte.
»Vielleicht sollte ich nicht länger meine Zeit mit dir verplempern, sondern die Sache gleich zu Ende bringen«, sinnierte er. Es klickte, als Murphy seine Waffe mit dem Daumen entsicherte. Er hielt die Linke hoch, als wollte er sich vor der spritzenden blutigen Gehirnmasse schützen.
»Mach mir die Entscheidung leichter«, sagte Murphy. »So oder so, Mikeyboy. Aber gib mir einen triftigen Grund.«
O’Connell
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