Das Opfer
verflucht noch mal nicht weiß, wieso. Und ich halte ihn auch für ein bisschen fähiger als du. Vergiss nicht, in was für einen Ärger er uns alle allein mit seinem simplen Computerzugang hineingeritten hat.«
»Hör mal, Hope«, hatte Sally entgegnet. »Wir haben versucht, fair mit ihm zu verhandeln. Wir haben ihm die Chance gegeben abzuhauen, oder? Wir haben ihm sogar eine stattliche Summe dafür bezahlt. Hätten wir noch fairer sein können? Hätten wir noch direkter sein können?«
»Ich weiß nicht.«
»Wir haben doch die ganze Zeit mit offenen Karten gespielt, oder?«
»Ja, nehme ich an.«
»Und er hat es nicht kapiert, oder? Er wollte uns allen Schwierigkeiten machen. Diese kleine Lektion hat ihm nun gezeigt, dass mit uns nicht zu spaßen ist. So oder so, es ist vorbei.«
Äußerlich schüttelte Hope zwar nicht den Kopf, doch sie hegte ihre Zweifel. Sally hatte das in ihren Augen gesehen und wollte ansetzen, etwas zu sagen, überlegte es sich aber und schwieg.
»Nun ja, das war’s jedenfalls«, meinte sie nach einer Weile, und es klang wie ein abschließendes Urteil, wenn auch ein wenig irritiert, dass Hope sie nicht stärker unterstützte.
Sally nahm den Brief von Murphy und setzte sich an ihren Schreibtisch, um noch einmal die Unterhaltung mit Hope Revue passieren zu lassen. Ihr kam der seltsame Gedanke, dass sie mit vertauschten Rollen spielten: Hope, die jünger und oftauch eigensinniger war, hätte zufrieden sein müssen und nicht Sally.
Sally riss die Lasche auf und ließ den Inhalt auf den Schreibtisch fallen.
Es handelte sich um ein Begleitschreiben, einen Stapel zusammengehefteter Papiere, einige Fotos und eine Reihe Computerdisketten.
Bei den Fotos handelte es sich um Aufnahmen, die von Michael O’Connell vor seinem Wohnhaus gemacht worden waren. Unter den Papieren befand sich sein bescheidenes Vorstrafenregister und das wenige, was Murphy hinsichtlich seiner Arbeitsverhältnisse und schulischen Laufbahn hatte ausgraben können; außerdem ein paar Informationen über seine Familie einschließlich der Anschrift seiner Mutter und seines Vaters. Einem Vermerk zufolge war die Mutter verstorben. An den Computerdisketten klebte ein gelber Zettel, auf dem stand:
Sie sind verschlüsselt. Wahrscheinlich kann sie ein Experte ohne Probleme öffnen. Vermutlich enthalten sie Informationen über Ihre Tochter. Vielleicht Fotos. Ich habe sie aus OCs Wohnung mitgenommen, aber ich nehme an, dass er davon noch Kopien hat. Ich wusste nicht, ob Sie zusätzliches Geld investieren wollten, um sie professionell untersuchen zu lassen. Der Computer, den er benutzt, wurde während unseres Treffens versehentlich zerstört, so dass sämtliche Informationen auf der Festplatte höchstwahrscheinlich vernichtet sind
.
In seinem Begleitbrief beschrieb Murphy kurz, wie er vor seinem Wohnhaus auf O’Connell gewartet hatte, ohne jedoch Einzelheiten über ihr Gespräch preiszugeben. Außerdem war die Rechnung für seine Dienste beigelegt, die einen kleinen Nachlass enthielt.
Sally griff augenblicklich zu ihrem Scheckbuch, um zu begleichen, was sie Murphy schuldig war. Zusammen mit einerNotiz, auf der nur stand,
Danke für Ihre Hilfe! Wir melden uns bei Ihnen, falls weitere Maßnahmen erforderlich sind
, steckte sie beides in ein unbeschriftetes Kuvert.
Das gesamte Material einschließlich der Computerdisketten packte sie in einen braunen Umschlag, auf den sie in großen Lettern
Ashleys Mistkerl
schrieb. Mit einem Gefühl der Erleichterung ging sie zu ihrem Aktenschrank und schob den Umschlag ganz hinten in die unterste Schublade, wo er hoffentlich in ein paar Jahren in Vergessenheit geraten würde.
Im Spätherbst ist nachmittags das Licht am Rande der Green Mountains von einer Klarheit, in der alle Gegenstände schärfere Konturen annehmen, bevor der Tag zunehmend früher verblasst. Catherine stand am Fenster vor ihrem Küchenspülstein und beobachtete Ashley links von ihr. Das Mädchen saß draußen hinter dem Haus, gehüllt in eine leuchtend gelbe Fleecejacke, am Rande einer gepflasterten Veranda. Hinter ihr erstreckte sich eine Weide, die bis zum Waldrand führte. Am Vortag waren sie nach Brattleboro gefahren und hatten Papier, eine Staffelei sowie Pinsel und Wasserfarben besorgt, und Ashley war jetzt in ein eigenes Gemälde vertieft, auf dem sie die letzten Lichtstrahlen einzufangen versuchte, die langsam über die Hügelketten wanderten und in den Kiefernzweigen verweilten. Catherine versuchte, Ashleys
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