Das Opfer
Stadt. Wer sollte so etwas an meinen Ex schicken? Das hat mich zwei Zähne gekostet, die er mir ausgeschlagen hat. Es hätte Murphy das Leben gekostet, wenn ich nurdas Glück gehabt hätte, dass mein Exmann ihm mit einer Pistole aufgelauert hätte und nicht jemand anders. Vielleicht
hat
es ja Murphy das Leben gekostet. Vielleicht hat ja jemand anders auch so einen braunen Umschlag bekommen. Wer weiß. Ich hätte mir so gewünscht, dass es mein Ex gewesen wäre. Hätte alles so viel leichter gemacht.«
Sie schob ihren Stuhl vom Tisch zurück. »Ich muss los.« Mit gesenktem Kopf und gebeugten Schultern sah sie in alle Richtungen und drehte sich um. Dann trat sie aus der Tür des Cafés und hastete durch die Mall, indem sie den Passanten auswich, als ob die Angst ihr unaufhörlich im Nacken säße und ihr unzählige Gefahren ins Ohr flüsterte.
Ich sah ihr nach und fragte mich, ob ich gerade Ashleys Zukunft vor mir gesehen hatte.
28
Eine schnelle Fahrt
Hope stand auf dem kurzen ziegelsteingepflasterten Gehweg zu ihrer Haustür, als die Scheinwerfer von Sallys Auto über den Rasen glitten. Unschlüssig, was sie tun sollte, wartete sie. Früher einmal wäre sie zu Sallys Wagen gegangen, um sie mit einer Umarmung zu begrüßen, doch jetzt war sie sich nicht einmal sicher, ob sie stehenbleiben sollte, um mit ihr zusammen ins Haus zu gehen. Sie schob ihre Füße unentschlossen über den Boden und starrte in die Dunkelheit über dem Viertel. Hope hatte das Gefühl, dass sie beide sich angewöhnt hatten, immer später nach Hause zu kommen, so dass das Schweigen, das sie im Lauf des Abends erwartete, weniger Zeit hatte, sie niederzudrücken.
»Hey«, sagte sie, als sie hörte, wie Sally die Wagentür zuschlug.
»Hey«, grüßte Sally mit einer erschöpften Stimme zurück.
»Harter Tag?«
Sally kam langsam über den Rasen zu ihr herüber. »Ja«, bemerkte sie kryptisch. »Lass uns drinnen drüber reden.«
Hope nickte und ging die Eingangsstufen hoch. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Haustür weit. Im Haus war es pechschwarz, und sie hatte das Gefühl, als strömte die Nacht wie ein dunkler, gefährlicher Sog direkt an ihr vorbei ins Haus. Hope blieb in der Eingangsdiele stehen undwusste schlagartig, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie schnappte nach Luft.
»Nameless!«, rief sie.
Die Deckenlampe ging an, und Sally stand neben ihr.
»Nameless!«, rief Hope ihr noch einmal zu.
Dann: »Oh mein Gott …«
Hope ließ ihren Rucksack auf den Boden fallen und trat vor. Die Angst hatte alle anderen Emotionen überwältigt, und in ihrem Körper überschlugen sich Frieren, Hitzewallungen und kalte Schweißausbrüche. »Nameless!«, brüllte sie wieder. Sie hörte die Panik in ihrer eigenen Stimme. Hinter ihr machte Sally die Lampen an, so dass Wohnzimmer, Flur und das Fernsehzimmer im Erdgeschoss in hellem Licht erstrahlten. Und zuletzt die Küche.
Der Hund lag reglos auf dem Boden ausgestreckt.
Hope gab ein Stöhnen von sich, das aus einem tiefen Winkel ihres Bewusstseins kam, den sie nicht kannte. Sie warf sich auf Nameless’ Körper. Sie grub die Hände in sein Fell, versuchte, irgendwo Wärme zu spüren, und drückte ihr Ohr an seine Brust, um auf seinen Herzschlag zu hören. Hinter ihr stand Sally wie erstarrt in der Tür. »Ist er …«
Hope stöhnte, inzwischen blind vor Tränen, noch einmal auf. Doch im selben Moment fasste sie unter den Körper des Hundes und hob ihn mit einer einzigen Bewegung auf. Sie drehte sich zu Sally um, und ohne ein Wort zu sagen, rannten sie beide zurück durch die Dunkelheit.
Sally fuhr schnell, schneller als je zuvor, um über den Highway die Tierklinik in Springfield zu erreichen. Bei ihrem Slalom durch den Verkehr erreichte die Tachonadel beinah hundertsechzig Stundenkilometer, und sie hörte, wie Hope sagte: »Schon gut, du kannst langsamer fahren.«
Hope hätte genauso etwas anderes sagen können, doch Sallyverstand nur, dass sie den Kopf tief über die Schnauze des Hundes gesenkt hatte, so dass sie schwer zu hören war. Für die letzten Kilometer brauchten sie nur wenige Minuten, und als sie durch die trüben Straßen der Innenstadt fuhren, sah sich Sally außerstande, etwas zu sagen, sondern horchte nur gebannt auf das untröstliche Schluchzen vom Rücksitz, das ihr wie Messerschnitte in die Eingeweide fuhr.
Sie sah das rotweiße Notaufnahmeschild und hielt vor dem Eingang. Das Quietschen der Reifen schreckte die diensthabende Schwester an
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