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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Die Teenager sorgten sich wahrscheinlich zu gleichen Teilen um ungewollte Schwangerschaften und Hockeyergebnisse, während die älteren Leute wohl vor allem die Frage beschäftigte, ob ihre Renten sie vor Lebensmittelmarken bewahren konnten. Diese Straße gehörte zu den unfreundlichsten Orten, die Scott je gesehen hatte.
    Wie zuvor an der Schule wusste Scott auch hier, dass er ein Fremdkörper war.
    Scott betrachtete das Wogen der morgendlichen Aktivitäten – Kinder, die zu den Schulbussen eilten, und Männer und Frauen, die mit Henkelmännern zur Arbeit strebten. Als es einwenig ruhiger wurde, stieg er aus. Er hatte eine Rolle Zwanzig-Dollar-Scheine in der Tasche und rechnete damit, dass er an diesem Morgen einen guten Teil davon loswerden würde.
    Scott kehrte O’Connells Haus den Rücken und steuerte auf die Adresse direkt gegenüber zu.
    Er klopfte laut an und ignorierte das wilde, kehlige Bellen eines Hundes. Nach ein paar Sekunden brüllte eine Frau das Tier wütend an, endlich still zu sein, und die Tür öffnete sich.
    »Ja?« Der Frau – Ende dreißig, in einem rosa Morgenmantel mit dem Logo eines Lebensmittelladens –, die vor ihm stand, hing eine Zigarette im Mundwinkel. Sie versuchte, in der einen Hand ihre Tasse Kaffee zu balancieren, während sie mit der anderen den Hund am Halsband festhielt. »Tut mir leid, er ist eigentlich ganz harmlos, aber er macht den Leuten Angst, weil er jeden anspringt. Mein Mann sagt immer, ich müsste ihn besser erziehen …« Sie zuckte die Achseln.
    »Schon in Ordnung«, beschwichtigte Scott durch die Fliegengittertür.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich komme von der staatlichen Bewährungsabteilung«, log Scott. »Wir führen die Überprüfung eines Straftäters ohne Vorstrafenregister durch, eine Abwägung der Umstände vor der Urteilsfindung. Ein gewisser Michael O’Connell. Hat mal hier gegenüber gewohnt. Haben Sie ihn wohl gekannt?«
    Die Frau nickte. »Ein bisschen. Hab ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Was hat er angestellt?«
    Scott überlegte einen Moment, bevor er sagte: »Es geht um ein Einbruchsdelikt.«
    »Hat was geklaut, wie?«
    »Ja«, bestätigte Scott, »sieht so aus.«
    Die Frau schnaubte. »Und ein Eigentor geschossen, der Idiot? Hätte ihn eigentlich für ein bisschen cleverer gehalten.«
    »Intelligenter Bursche, oder?«
    »Gab sich zumindest so. Weiß nicht, ob das dasselbe ist.«
    Scott lächelte. »Na jedenfalls«, nahm er langsam seinen Faden wieder auf, »wir interessieren uns in erster Linie für die Verhältnisse, aus denen er stammt. Ich muss gleich noch seinen Vater befragen, aber Sie wissen ja, die Nachbarn können manchmal …« Er brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen, denn die Frau nickte energisch.
    »Weiß eigentlich nicht allzu viel. Wir sind erst seit ein paar Jahren hier. Aber der alte Mann – na ja, der ist schon ewig da. Nicht besonders beliebt in der Gegend.«
    »Wieso?«
    »Er bezieht ’ne Rente, wegen Erwerbsunfähigkeit. Hat früher auf einer der Werften drüben in Portsmouth gearbeitet. Hatte irgendso ’n Unfall. Sagt er. Hat sich den Rücken verletzt. Sackt jeden Monat einen Scheck vom Betrieb und einen vom Staat ein, und vom Bundesstaat auch noch nebenbei. Aber für einen, der sagt, er ist verletzt, scheint er bestens zurechtzukommen. Verdient sich als Dachdecker was dazu, schon ein bisschen seltsam für ’nen Krüppel. Mein Mann sagt, der arbeitet schwarz. Hab immer damit gerechnet, dass eines Tages so ’n Typ vom Finanzamt vorbeikommt und ein paar Fragen stellt.«
    »Das erklärt aber noch nicht, dass die Leute ihn nicht …«
    »Er ist einfach ein mieser Arsch und ein Säufer. Und wenn er sich volllaufen lässt, dann macht er Rabatz. Einen Riesenradau. Dann können Sie ihn mitten in der Nacht brüllen hören, und bestimmt nicht die feinste Sprache, nur dass eigentlich keiner da ist, den er anbrüllen könnte. Manchmal kommt er raus und feuert ein paar Schüsse mit der alten Knarre ab, die er in dem Saustall da drinnen hat, den er sein Zuhause nennt. Hier sind Kinder in der Nachbarschaft, aber das ist ihm egal. Hat auch mal auf den Hund von Nachbarn geschossen. ZumGlück nicht auf meinen. Jedenfalls einfach losgeballert, ohne jeden Grund, nur so zum Spaß.«
    »Und der Sohn?«
    »Wie gesagt, den kannte ich kaum. Aber, wie man so sagt, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Klingt jedenfalls so.«
    »Was ist mit der Mutter?«
    »Die ist längst tot. Hab sie nie gekannt. War wohl ein Unfall, hieß

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