Das Opfer
ging allerdings in eine völlig andere Richtung.
Ein Verbrechen finden. Dann überlegen, wie man es Michael O’Connell anhängen konnte.
Ihn hinter Gitter bringen konnte. Um selbst wieder ein normales Leben führen zu können. Es klang so einfach. ScottsFeuereifer hatte auch sie beflügelt, bis sie sich tatsächlich hingesetzt und versucht hatte, sich durch alle möglichen Optionen durchzuwühlen.
Das Beste, was sie bisher hatte finden können, waren Betrug und Erpressung.
Es würde nicht leicht, dachte sie, aber immerhin konnten sie sämtliche illegalen Handlungen von O’Connell bis zu diesem Punkt zusammennehmen und sie so hinbiegen, dass es aussähe, als hätte er von ihr und Scott Geld erpressen wollen. Sie konnte einem Staatsanwalt wohl plausibel machen, dass alles, was O’Connell getan hatte – besonders die Belästigung von Ashley –, Teil eines aggressiven Plans gewesen war. Das Einzige, was sie fabrizieren mussten, war eine Art Drohung, wenn sie ihm nicht eine bestimmte Summe zahlten. Scott konnte unter Eid aussagen, dass O’Connell, als er von ihm die fünftausend Dollar entgegennahm, mehr verlangt hätte, und dass er den Betrag noch in die Höhe getrieben hätte, als sie nicht gleich spurten. Bis zu diesem Punkt konnten sie sogar für die Tatsache, dass sie die Polizei nicht eingeschaltet hatten, eine plausible Erklärung finden, indem sie argumentierten, sie hätten Angst davor gehabt, wie er reagieren würde.
Das Problem – beziehungsweise, dachte Sally deprimiert, wohl eher das erste Problem von vielen – war eine Bemerkung von Scott, nachdem er die fünftausend Dollar übergeben hatte. Er hatte den Verdacht geäußert, dass O’Connell ein verstecktes Mikrofon dabeigehabt und die gesamte Unterhaltung aufgenommen haben könnte.
Falls das stimmte, standen unversehens sie als die Lügner da. O’Connell käme ungeschoren davon, ihnen drohte vielleicht eine Anklage, und ihre Kanzlei wäre ebenso in Gefahr wie Scotts Lehramt. Sie könnten wieder von vorne anfangen, und nichts stünde zwischen O’Connell, seiner Wut und Ashley.
Selbst wenn sie Erfolg hatten, konnte es passieren, dass O’Connell ein mildes Urteil bekam. Ein paar Jahre? Wie lange würde Ashley, nachdem er erst einmal hinter Gittern saß, brauchen, um ein neues Leben anzufangen und sich innerlich von den psychischen Auswirkungen seiner Obsession zu lösen? Drei Jahre? Fünf? Zehn? Konnte sie sich jemals hundertprozentig sicher sein, dass er nicht eines Tages wieder bei ihr auf der Matte stand?
Sally lehnte sich fest an ihren Stuhl.
Bring ihn um, dachte sie.
Sie keuchte laut. Sie konnte nicht fassen, was ihre innere Stimme ihr suggerierte.
Was ist an deinem Leben so großartig, dass es nicht geopfert werden könnte?
Das ergab schon eher Sinn. Sie konnte nicht sagen, dass sie ihre Arbeit liebte, und sie war voller Zweifel hinsichtlich ihrer Beziehung zu Hope. Es war Wochen, ja Monate her, seit sie das letzte Mal so etwas wie Freude darüber empfunden hatte, wer sie war und wofür sie stand. Ein höherer Sinn in ihrem Leben? Sie hätte lachen mögen, brachte es aber nicht über sich. Sie war eine Kleinstadtanwältin in mittleren Jahren, die dabei zusehen musste, wie die Falten sich jeden Tag ein bisschen tiefer in ihr Gesicht eingruben. Das einzig bleibende Zeichen, das sie in ihrem Leben gesetzt hatte, war vermutlich Ashley. Selbst wenn ihre Tochter aus einer vorgetäuschten Liebe hervorgegangen war, so war sie doch ganz zweifellos das Beste, was Sally und Scott in ihrer kurzen Zeit miteinander zustande gebracht hatten.
Ihre Zukunft ist es wert, dafür zu sterben, deine nicht.
Wieder war Sally schockiert über ihre eigenen, hartnäckigen Gedanken. Das ist der pure Wahnsinn. Allerdings hat der Wahnsinn Methode.
Bring ihn um, sagte sie sich erneut.
Und dann kam ihr ein anderer, noch bizarrerer Gedanke.
Oder deichsel es so, dass er dich tötet.
Und dafür bezahlt.
Sie starrte auf die Bücher und die anderen Texte, die vor ihr ausgebreitet lagen.
Jemand musste sterben. Davon war sie mit einem Mal vollkommen überzeugt.
Zum ersten Mal, seit ich mit der Arbeit an der Geschichte begonnen hatte, litt ich unter Alpträumen.
Sie kamen ungebeten und sorgten dafür, dass ich mich nachts unruhig und schweißgebadet im Bett herumwälzte, dann für einen Schluck Wasser ins Badezimmer torkelte und in den Spiegel sah. Ich schlüpfte aus dem Bad, tappte den Flur entlang und schaute bei meinen Kindern vorbei, um mich zu
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