Das Opfer
zu sein …«
»Wirklich? Finden Sie, dass der Zweck die Mittel heiligt?«
»Habe ich das gesagt?«
»Ja.«
»Also, eigentlich wollte ich nur sagen …«
Sie unterbrach mich mit der erhobenen Hand und stand auf, um über den Garten und eine Reihe Bäume hinweg auf die Straße zu schauen. Sie seufzte tief. »Sie waren am Scheideweg. Sie mussten sich entscheiden. Wie so viele ganz gewöhnliche Menschen, hatten auch sie eine Wahl zu treffen, die tiefgreifende persönliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Das müssen Sie begreifen.«
»Aber welche Wahl hatten sie denn?«
»Gute Frage«, antwortete sie mit einem kurzen gequälten Lachen.
»Sagen Sie es mir.«
38
Das Ausmaß des Bösen
Als Scott den Fußweg zum Haus seiner Exfrau hochging, plagten ihn tausend Zweifel und Ungewissheiten. An der Haustür hob er die Hand, um zu klingeln, zögerte jedoch. Er drehte sich noch einmal um und starrte in das Dunkel auf der Straße. Er war Michael O’Connell inzwischen bedeutend nähergekommen, doch er wusste, dass der sich immer noch vor ihm versteckte. Er fragte sich, ob seine Zielperson ihn umgekehrt ebenso aufmerksam studierte. Er wusste nicht, ob es möglich war, einen Vorsprung zu erzielen. Er hatte seine Vorbehalte. Nach allem, was er wusste, stand O’Connell wahrscheinlich just in diesem Moment in der vollkommenen Dunkelheit und beobachtete ihn. Scott fühlte eine Woge blanker Wut, am liebsten hätte er laut aufgeschrien. Er fragte sich, was wäre, wenn O’Connell alles, was Scott bei seiner Erkundungsfahrt herausgefunden und was er für so undurchschaubar gehalten hatte, in Wahrheit vorhergesehen und in sein Kalkül längst einbezogen hatte. Er konnte den Gedanken nicht loswerden, dass der Kerl von allem, was er unternommen hatte, bereits wusste.
Er stöhnte leise auf und merkte, wie ihm der Schweiß unter die Achseln trat. Er machte einen Schritt von der Tür zurück, um den Mann zu stellen, der ihn vermutlich beobachtete, doch er riss sich zusammen.
Hinter ihm ging die Tür auf. Es war Sally.
Einen Moment lang folgte sie Scotts Blick in die Nacht. Im selben Moment verstand sie, wonach er suchte.
»Meinst du, er ist irgendwo da draußen?« Ihre Stimme war ausdruckslos und hart.
»Ja und nein.«
»Was denn nun?«
»Ich denke, er versteckt sich da draußen im Schutz der Dunkelheit. Oder auch nicht. Wir können es nicht sagen, also sind wir in beiden Fällen aufgeschmissen.«
Sally legte ihm die Hand auf die Schulter. Eine kleine Geste überraschender Zärtlichkeit, die sich seltsam für sie anfühlte, während sie sich bewusstmachte, dass sie den Mann, mit dem sie einmal das Bett geteilt hatte, seit Jahren nicht mehr berührt hatte. »Komm rein«, sagte sie, »drinnen sind wir genauso aufgeschmissen, aber wenigstens ist es wärmer.«
Hope trank ein Bier und hielt sich immer wieder die kalte Flasche an die Stirn, als hätte sie Fieber und brauchte Kühlung. Ashley und Catherine wurden in die Küche beordert, um etwas zu essen zu machen – das jedenfalls war Sallys allzu offensichtliche Erklärung, um sie aus dem Zimmer zu komplimentieren, während sie ihre Pläne schmiedeten. Scott stand immer noch unter einer gewissen Anspannung, als ob dieses Gefühl draußen auf der Eingangstreppe sich hartnäckig eingenistet hätte. Sally dagegen war gut organisiert. Sie wandte sich an Scott und deutete auf Hope. »Sie hat seit ihrer Rückkehr kaum ein Wort gesprochen, aber ich glaube, sie hat etwas entdeckt.« Bevor Scott etwas erwidern konnte, stellte Hope ihr Bier laut vernehmlich auf den Tisch.
»Ich glaube, es ist schlimmer, als wir gedacht hatten«, brach sie ihr Schweigen.
»Schlimmer? Wie kann es denn noch schlimmer sein?«
Hope stand plötzlich ein Bild vor Augen: die grinsende Totenmaske einer tiefgefrorenen Katze.
»Er ist krank und pervers. Er foltert und tötet gerne kleine Tiere.«
»Woher weißt du das?«
»Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
»Gott im Himmel!«, entfuhr es Scott.
»Ein Sadist?«, fragte Sally.
»Teils ja. Sieht jedenfalls ganz danach aus. Aber das ist nur die eine Seite von ihm. Da ist noch etwas.« Hopes Ton war hart wie Granit. »Er hat eine Pistole.«
»Hast du die auch gesehen?«
»Ja. Ich konnte in seine Wohnung, als er nicht da war.«
»Wie hast du das geschafft?«
»Was tut das schon zur Sache? Ich hab mich mit einer Nachbarin angefreundet, die wiederum zufällig einen Schlüssel hatte. Und was ich drinnen gesehen habe, hat mir klargemacht, dass
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