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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ließ sich aufs Sofa sinken, sah Nameless herüberschlurfen und lud ihren Hund mit einem Klaps der flachen Hand auf das Polster ein, sich neben sie zu legen. Das tat sie nur, weil Sally nicht da war, die Nameless’ nonchalante Einstellung zum Mobiliar nicht schätzte. Sally liebte klare Verhältnisse, ging es Hope durch den Kopf. Hunde auf dem Boden, Menschen auf dem Sofa. So wenig Unordnung wie möglich. Das war die Rechtsanwältin in ihr. Es war schließlich ihr Beruf, Unklarheiten zu beseitigen; Konflikte zu bereinigen und in eine Situation Vernunft einkehren zu lassen; Regeln und Richtlinien zu formulieren, Strategien zu entwickeln und Dinge unzweideutig zu definieren.
    Hope war sich längst nicht so sicher, ob Organisation tatsächlich Freiheit bedeutete.
    Sie liebte ein bisschen Durcheinander im Leben und hatte einen gewissen rebellischen Zug.
    Gedankenverloren beugte sie sich vor und streichelte Nameless über das Fell, und er klopfte ein paar Mal mit dem Schwanz gegen das Sofa, während er die Augen verdrehte. Sie hörte Sally rumoren, dann sah sie, wie der Schatten, den das Schlafzimmerlicht auf die Treppe warf, verschwand.
    Hope legte den Kopf zurück und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass ihre Beziehung womöglich in größeren Schwierigkeiten steckte, als sie sich vorstellen konnte, auch wenn sie nicht hätte sagen können, wieso. Fast das gesamte letzte Jahr hindurch hatte sie das Gefühl gehabt, als sei Sally innerlich woanders, und zwar die ganze Zeit.
    Sie fragte sich, ob sich jemand ebenso schnell entlieben wie verlieben konnte. Sie atmete langsam aus und wechselte von ihren Ängsten bezüglich ihrer Lebensgefährtin zu ihren Ängsten um Ashley.
    Sie kannte Scott nicht besonders gut und hatte in den fünfzehnJahren vielleicht ganze sechs Mal mit ihm gesprochen, was, wie sie einräumte, schon seltsam war. Das Bild, das sie sich von ihm machte, stützte sich auf das, was Sally und Ashley über ihn sagten. Jedenfalls hielt sie ihn nicht für einen Menschen, der zu übereiltem Handeln neigte, schon gar nicht, wenn es um etwas so Banales wie einen anonymen Liebesbrief ging. Bei ihren Tätigkeiten als Trainerin wie auch als Schulpsychologin war Hope schon mit so vielen bizarren und gefährlichen Beziehungen konfrontiert worden, dass sie dazu neigte, die Sache ernst zu nehmen.
    Sie klapste noch einmal einladend mit der flachen Hand auf den Platz neben ihr, doch Nameless rührte sich kaum.
    Es war zu abgedroschen, musste sie unwillkürlich denken, wenn jemand mit ihrer sexuellen Ausrichtung
allen
Männern misstraute. Andererseits wusste sie, welchen Schaden ein Mensch anrichten konnte, der sich emotional in etwas verrannte, besonders ein junger Mensch.
    Sie hob den Kopf und blickte zur Decke, als könne sie durch den Putz und die Hartfaserplatte hindurchsehen und erfahren, was Sally gerade dachte. Hope wusste, dass Sally Schlafprobleme hatte. Wenn sie endlich eingenickt war, warf sie sich hin und her und schien von lebhaften Träumen heimgesucht zu werden.
    Ob auch Ashley schwer einschlafen kann?, fragte sich Hope. Es wäre wohl besser, dieser Frage nachzugehen, sie wusste nur nicht, wie.
    Hope hatte keine Ahnung, dass genau zur selben Zeit auch Scott wach lag und sich mit dem gleichen Dilemma quälte.
     

     
    Boston hat etwas von einem Chamäleon, das unterscheidet es von anderen Städten. An einem strahlenden Sommermorgen pulsiert es vor Energie und Erfindungsreichtum. Es strotzt vor Gelehrsamkeit und Kontinuität, es atmet den Hauch der Geschichte. Es strahlt eine Heiterkeit aus, die unbegrenzte Möglichkeiten verspricht. Doch man braucht nur dieselben Häuserzeilen entlangzugehen, wenn sich die Nebelschwaden vom Hafen herüberwälzen oder wenn klirrender Frost in der Luft liegt oder wenn der schmutzige Schnee von gestern an den Straßenrändern liegt, und Boston präsentiert sich als ein unwirtlicher, kalter Ort von einer abweisenden Düsternis und Härte.
    Ich betrachtete den spätnachmittäglichen Schatten, der langsam über die Dartmouth Street kroch, und fühlte, wie vom Charles River heiße Luft herüberwehte. Von meinem Standort aus konnte ich den Fluss nicht sehen, auch wenn ich wusste, dass mich nur ein paar Häuserblocks von ihm trennten. Ich hatte es nicht weit bis zur Newbury Street mit ihren modischen Geschäften und exklusiven Galerien. Auch The Berklee School of Music, um die sich ehrgeizige Musiker jedweder Richtung scharten, war ganz in der Nähe: Auf den angrenzenden

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