Das Opfer
der gegnerischen Seite genau. Die junge Frau neigte dazu, ihre Spielfeldseite ansich zu reißen, so dass die Verteidigerin hinter ihr frei stand. Hopes eigene Spielerin, die eng deckte, sah noch nicht recht, wie sie die Risikofreude ihrer Gegnerin in eine Offensive ummünzen sollte. Hope schritt ein Stück die Seitenlinie ab, dachte einen Moment daran, die Spielerin auszuwechseln, überlegte es sich dann aber anders. Sie zog einen kleinen Schreibblock aus ihrer Gesäßtasche, suchte einen Bleistiftstummel in der Jacke und machte sich eine kurze Notiz. Etwas, das beim Training zur Sprache kommen sollte, dachte sie. Hinter sich hörte sie Gemurmel von den Mädchen auf der Bank; sie waren an das Bild gewöhnt, wie der Block während eines Spiels herausschnellte. Manchmal bedeutete das ein späteres Lob, mitunter aber auch sein paar extra Laufrunden nach dem Training am nächsten Tag. Hope drehte sich zu den Mädchen um.
»Sieht irgendjemand, was ich sehe?«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Highschool-Mädchen, dachte sie. Eben noch die große Klappe, dann bringen sie kein Wort heraus. Ein Mädchen zeigte auf.
»Ja, Molly, was?«
Molly stand auf und zeigte auf die Rechtsaußen. »Die macht uns auf ihrer Seite ziemlich Probleme, aber wir könnten uns ihren Leichtsinn zunutze machen …«
Hope klatschte in die Hände. »Der Meinung bin ich auch!« Sie sah, wie die anderen Mädchen grinsten. Also morgen keine extra Runden. »Also dann, Molly, wärm dich auf und geh ins Spiel. Geh für Sarah im Mittelfeld rein, sieh zu, dass du den Ball unter Kontrolle bekommst, und mach was aus deiner Position.« Hope ging zur Bank hinüber und setzte sich auf Mollys Platz.
»Seht euch das Spielfeld an, meine Damen«, sagte sie ruhig.
»Habt das Ganze im Auge. Es geht nicht immer nur um den Ball zu euren Füßen, es geht auch um Raum, Zeit, Geduld undEngagement. Es ist wie Schach. Ihr müsst aus einer Schwäche Vorteil ziehen können.«
Als die Menge plötzlich lauter wurde, sah sie auf. An der gegenüberliegenden Seitenlinie hatte es einen Zusammenprall gegeben, und ein paar Leute forderten wild gestikulierend die Schiedsrichterin auf, die gelbe Karte zu zücken. Ein besonders wütender Vater marschierte am Spielfeld auf und ab und fuchtelte mit den Armen. Hope erhob sich und lief ein Stück entlang der Seitenlinie, um zu sehen, was passiert war.
»Trainerin …«
Sie blickte auf und sah, dass der Linienrichter auf ihrer Seite ihr zuwinkte.
»Ich glaube, die brauchen Sie …«
Sie beobachtete, wie der Trainer des gegnerischen Teams bereits im Eiltempo über das Spielfeld lief, und so legte sie selbst einen Schritt zu, während sie einen Verbandskasten und eine Flasche Jod aus der Tasche zog. Sie machte einen kleinen Bogen in Richtung Molly.
»Molly … ich hab’s nicht mitbekommen. Was ist passiert?«
»Die sind mit den Köpfen zusammengestoßen. Ich glaube, Vicki ist die Luft weggeblieben, aber das andere Mädchen scheint es schlimmer erwischt zu haben.«
Als sie die Stelle erreichte, konnte ihre Spielerin schon wieder sitzen, doch die Gegnerin lag am Boden, und Hope hörte leises Schluchzen. Sie ging zuerst zu ihrem Schützling. »Alles in Ordnung, Vicki?« Das Mädchen nickte, doch ihr stand Angst ins Gesicht geschrieben. »Tut’s irgendwo weh?«
Einige der Spielerinnen hatten eine Traube gebildet, und Hope schickte sie wieder an ihre jeweiligen Positionen. »Was meinst du? Kannst du aufstehen?«
Vicki nickte erneut, und Hope stützte sie am Arm. »Setzen wir uns eine Weile auf die Bank«, sagte sie ruhig. Vicki schüttelteden Kopf, doch Hope packte sie fester am Arm. An den nächstgelegenen Seitenlinien hatte einer der Väter die Stimme erhoben und ließ eine wüste Beschimpfung gegen den geg nerischen Trainer vom Stapel. Bis jetzt war es noch nicht in Obszönitäten ausgeartet, doch Hope wusste, dass dazu nicht mehr viel fehlte. Sie drehte sich in seine Richtung um.
»Immer hübsch die Ruhe bewahren«, rief sie zu ihm. »Sie kennen die Regeln in Bezug auf Verunglimpfungen.«
Der Mann wandte den Blick langsam vom Spielfeld zu ihr. Sie sah, wie er den Mund aufmachte, als wollte er etwas sagen, dann aber innehielt. Eine Sekunde sah es so aus, als wolle er seiner Wut freien Lauf lassen. Ihm war anzusehen, dass er sich nur mit größter Mühe beherrschen konnte, doch er quittierte Hopes Bemerkung nur mit einem funkelnden Blick und sah weg. Hope hörte, wie der andere Trainer »Idiot!« murmelte. Sie geleitete
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