Das Opfer
Wahrheit«, sagte ich. »Und keine Gerüchte.«
Der Mechaniker fixierte das Geld. »Über den Hurensohn, geht klar.« Er streckte die Hand aus, doch wie eine von diesen abgebrühten Figuren in tausend kommerziellen Hollywoodstreifen legte ich die flache Hand auf das Bündel. Der Mann grinste, so dass seine weißen Zähne mitsamt Lücken zum Vorschein kamen.
»Zuerst habe ich eine Frage«, begann der Mann. »Wissen Sie, wo O’Connell jetzt ist?«
»Nein«, antwortete ich. »Noch nicht. Aber früher oder später finde ich ihn. Wieso?«
»Weil er nicht gerade der Typ ist, dem ich gerne ans Bein pinkeln möchte. Bin nicht scharf drauf, dass er mir selbst einen Besuch abstattet, um mir Fragen zu stellen. Zum Beispiel, weshalb ich mit Ihnen geplaudert hab. Ich glaub, Ihnen würde es auch nicht gefallen, sich von dem ausquetschen zu lassen, schon gar nicht, wenn ihm was nicht passt.«
»Ich behandle unser Gespräch vertraulich«, versprach ich.
»Große, hehre Worte. Aber woher soll ich wissen, Mr. Schriftsteller, dass Sie sich auch dran halten?«
»Das Risiko müssen Sie wohl eingehen.«
Er schüttelte den Kopf, schielte aber zugleich auf das Geld. »Dann tut’s mir leid«, erklärte er. »Besonders, wenn es um den Burschen geht. Würde meinen Seelenfrieden nicht für lausige hundert Dollar opfern.« Er überlegte einen Moment, brummte etwas wie »Scheiß drauf« und zuckte mit den Achseln. »Michael O’Connell. Hat hier ungefähr ein Jahr gearbeitet, und ich hab keine zwei Minuten gebraucht, um dafür zu sorgen, dass er immer in derselben Schicht ist wie ich. War nicht versessen darauf, mich von ihm nach Strich und Faden beklauen zu lassen. Das war der cleverste Mistkerl, der in dem Laden hier jemals Zündkerzen gewechselt hat, so viel steht fest. Und er war sehr cool, wenn er Geld gestohlen hat. Verteufelt heimtückisch und verflucht charmant, beides in einem, ist das zu fassen? So dass man es kaum merkte, wenn er einen beschissen hat. Die meisten Jungs, die ich anheuere, um an der Zapfsäule zu bedienen, sind entweder College-Kids, die sich ein bisschen was nebenbei verdienen, oder Jungs, die bei den großen Firmen die Prüfungen zum Automechaniker vermasselt haben und deshalb hier landen. Die sind entweder zu jung, um zu stehlen, oder zu dumm dafür. Sie verstehen, was ich meine?«
Ich antwortete nicht, sondern sah mir den Tankstellenbesitzer genaueran. Er war vermutlich ungefähr in meinem Alter, doch die viele Zeit, die er sowohl in der Sommerhitze als auch im frostigen Winter unter einem Auto verbrachte, hatte ihm einen Kranz Runzeln um die Augen und im restlichen Gesicht eingegraben. Das Rauchen hatte ein Übriges getan, und er nutzte die Gesprächspause, um sich eine Zigarette zwischen die Lippen zu stecken, womit er sein eigenes
Rauchen-verboten
-Schild ignorierte, das deutlich sichtbar an der Rückwand prangte. Er hatte die seltsame Gewohnheit, mich direkt anzusprechen, dabei aber den Kopf ein wenig schräg zu halten, so dass man das Gefühl hatte, als kämen seine Worte von irgendwo seitlich.
»Er hat also hier angefangen zu arbeiten …«
»Sicher. Er war hier angestellt, aber das heißt nicht, dass er hier wirklich gearbeitet hat, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein, ich fürchte, nicht«, sagte ich.
Der Werkstattbesitzer verdrehte die Augen.
»O. C. hat seine Stunden hier abgesessen. Aber alte Vergaser zu reparieren oder Inspektionen durchzuführen, das war nicht sein Ding. Da hat er wohl nicht seine Zukunft gesehen.«
»Wo dann?«
»Na ja, eher darin, eine vollkommen intakte Benzinpumpe gegen eine überholte auszutauschen und die Differenz einzusacken. Gegen einen Zwanziger extra sicherzustellen, dass die letzte Schrottlaube, die hier reinkommt, den ASU-Test besteht, das passte ihm auch ins Konzept. Oder auch mal mit dem Hammer ein vorderes Kugellager zu demolieren und so einem Bostoner College-Studenten weiszumachen, er bräuchte neue Bremsen und eine Adjustierung, auch so was gehörte zu seinen Geschäftsgepflogenheiten.«
»Ein Betrüger also?«
Der Mechaniker grinste. »Was dachten Sie denn. Aber das ist bei O’Connell nur die Spitze des Eisbergs.«
»Na schön, was noch?«
»Abends hat er Computerkurse besucht, und er kannte sich mit allem aus, was man mit so einem Laptop anstellen kann. Der Junge war ein Ass auf dem Gebiet. Kreditkartenbetrug. Diebstahl persönlicher Daten. Tricksen mit doppelter Rechnung. Telefonschwindel. Das ganze Programm. Da kannte er sich aus. In
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