Das Opfer
zum Verschwinden.
Mit der Verzweiflung kam die Wut. Sie stieß sich energisch von der Wand ab.
Das muss ein Ende haben
.
Scott blieb von dem, was er gehört hatte, wie gelähmt an seinem Schreibtisch sitzen. Er hatte das Gefühl, als sei etwas in ihm überreizt. Die Worte auf den Seiten, die vor ihm lagen, flirrten wie Hitze über einer geteerten Straße, und er merkte, wie sich seine Brust unter den ersten Anzeichen der Panik zusammenzog.
Was Professor Burris ihm geschickt hatte, war die Fotokopie seines eigenen Artikels im
Journal
sowie der Computerausdruck der Doktorarbeit eines gewissen Louis Smith an derUniversität von South Carolina. Die Arbeit war etwa acht Monate vor dem Erscheinen von Scotts Aufsatz am dortigen Institut für Geschichte eingereicht worden und beschäftigte sich im Kern weitgehend mit demselben Stoff. Ihre Übereinstimmungen waren unvermeidlich, und beide Arbeiten hatten sich zum Teil auf dasselbe Quellenmaterial gestützt.
Doch das war nicht das Gefährliche daran. Es war nicht zu leugnen: Ein halbes Dutzend Kernabschnitte lautete Wort für Wort gleich. Professor Burris hatte die kritischen Passagen freundlicherweise eigenhändig gelb markiert.
Im Rahmen eines umfangreichen wissenschaftlichen Aufsatzes in einer Fachzeitschrift einerseits und in einer hundertsechzig Seiten umfassenden Doktorarbeit andererseits stellten die fraglichen Abschnitte nur einen winzigen Prozentsatz des Textes dar, und die darin enthaltenen Erkenntnisse waren nicht von weltbewegender akademischer Brisanz. Doch Scott wusste, dass das nicht das Geringste zur Sache tat. Sie stimmten wörtlich überein, das allein zählte.
Er musste plötzlich an die Königin in
Alice im Wunderland
denken: erst die Hinrichtung, dann die Urteilsfindung.
Scott hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er selbst die Sätze geschrieben hatte, die vor ihm lagen. Den Gedanken, dass einer seiner beiden studentischen Assistenten diese Sätze zufällig notiert und er sie verwendet hatte, ohne sie genauestens zu prüfen, konnte er begraben. Sie hatten untadelige Arbeit geleistet.
Er selbst dagegen offenbar nicht.
Er krümmte sich unter dem Aufruhr der Gefühle.
Professor Burris hatte nicht angedeutet, aus welcher Quelle die Beschwerde stammte. Scott nahm an, dass sie von dem Doktoranden oder aber von einem Fakultätsmitglied der Universität von South California kam. Es bestand die Möglichkeit,dass irgendein Geschichtsfreak, von denen es in der Vereinigten Staaten Hunderttausende gab, den Vergleich angestellt hatte, doch er bezweifelte, dass so jemand genügend Einfluss hatte, um einen derart prominenten Historiker wie Burris vor seinen Karren zu spannen.
Es war schon fast Mittag, als Scott unrasiert, mit müden Augen und nach seiner vierten Tasse Kaffee endlich den geschäftsführenden Direktor des Historischen Instituts der USC am Telefon hatte.
Zu seiner Überraschung war der Mann umgänglich und hilfsbereit und ganz offensichtlich über die heikle Angelegenheit noch nicht im Bilde. Sein Verdacht ging sogar augenblicklich in die umgekehrte Richtung.
»Ja, sicher erinnere ich mich an diese Dissertation«, erzählte er. »Sie bekam sehr hohe Noten von der gesamten Kommission. Sie war gut recherchiert und gut geschrieben und sollte, soweit ich mich entsinne, veröffentlicht werden. Und der junge Mann, ein wirklich guter Student und ein sehr netter Kerl, hat vermutlich eine großartige Karriere vor sich. Aber Sie sagen, diese Arbeit wirft Fragen auf? Kann ich mir kaum vorstellen …«
»Ich möchte mir lediglich ein paar Übereinstimmungen ansehen. Immerhin arbeiten wir auf dem gleichen Spezialgebiet.«
»Sicher«, sagte der Direktor. »Auch wenn ich es schrecklich fände, sollte sich zeigen, dass einer unserer Studenten sich unredlich verhalten hätte.«
Scott zögerte. Er wusste, dass er dem Historikerkollegen den falschen Eindruck vermittelt hatte, der ehemalige Student habe sich möglicherweise eines akademischen Vergehens schuldig gemacht. »Wissen Sie, wenn ich mit dem jungen Mann reden könnte, lässt sich alles vielleicht klären«, meinte er.
»Aber gewiss«, erwiderte der Direktor. »Warten Sie mal …«
Scott musste einige nervenaufreibende Minuten warten. Er saß reglos da und wartete darauf, das Gespräch fortzusetzen, das ihn möglicherweise alles kosten würde, was er sich in Jahren aufgebaut hatte.
»Also, Professor Freeman«, meldete sich der geschäftsführende Direktor, »tut mir leid, dass ich Sie warten
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