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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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lassen musste. Es ist ein bisschen schwierig, mit Louis in Verbindung zu treten. Der frischgekürte Dr. Smith hat bei
Teach For America
angeheuert. Das tun bei uns verdammt wenige Studenten. Jedenfalls haben wir von ihm eine Telefonnummer und eine Adresse irgendwo nördlich von Lander, Wyoming, in einem Indianer-Reservat. Die gebe ich Ihnen jetzt …«
    Scott rief in Wyoming an und erfuhr, dass Louis Smith gerade dabei war, Achtklässler zu unterrichten, und zwar noch einige Stunden. So hinterließ er seinen Namen und seine Nummer und erklärte, es sei dringend. Als endlich das Telefon klingelte, schnappte er hastig danach.
    »Professor Freeman? Louis Smith …«
    »Danke, dass Sie zurückrufen«, sagte Scott.
    Der junge Mann schien entzückt. »Ich fühle mich durch Ihren Anruf wirklich geehrt, Professor Freeman. Ich habe alles gelesen, was Sie je veröffentlicht haben, besonders über die Anfänge des amerikanischen Freiheitskrieges. Das ist mein Spezialgebiet, und ich muss zugeben, dass ich es nach wie vor absolut faszinierend finde. Die militärischen Manöver, die politischen Intrigen, der fast unmöglich scheinende Erfolg. So viele Lektionen für uns heute. Ich meine, Sie können sich wohl vorstellen, dass die Leute in einem Indianer-Reservat eine ganz andere Geschichtsauffassung haben als die, die wir für selbstverständlich halten …« Der Mann sprach schnell und ohne Punkt und Komma. Doch bevor Scott etwas einwerfen konnte, hielt Smith inne, holte einmal tief Luft und entschuldigte sich. »Tutmir leid, ich schwadroniere drauflos. Bitte, Professor Freeman, welchem Umstand verdanke ich die Ehre Ihres Anrufs?«
    Scott zögerte. Mit der grenzenlosen Energie, die der junge Lehrer verströmte, hatte er nicht gerechnet. »Ich habe Ihre Doktorarbeit gelesen …«
    »Tatsächlich? Das ist phantastisch, ich meine, wenn sie Ihnen gefallen hat. Finden Sie, ich hab sie ordentlich hinbekommen?«
    »Sie ist ausgezeichnet«, erklärte Scott etwas überrascht. »Und Ihre Erkenntnisse sind treffend und präzise.«
    »Danke, Professor. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Sie kennen das ja, man steckt all die Arbeit hinein, und vielleicht wird das Ganze dann von einem akademischen Verlag herausgegeben, ich hoffe, dass es noch dazu kommt, aber außer der Kommission am Institut und der eigenen Freundin blickt im Grunde keiner hinein. Dass Sie sie tatsächlich gelesen haben …«
    »Da wäre eine Frage«, begann Scott steif. »Es gibt ein paar Übereinstimmungen zwischen Ihrer Arbeit und einem Aufsatz, den ich ein paar Monate später …«
    »Ja«, bestätigte der junge Mann. »Im
Journal of American History
. Ich hab ihn aufmerksam gelesen, weil wir uns weitgehend mit dem gleichen Material befassen. Aber Übereinstimmungen, wie meinen Sie das?«
    Scott holte noch einmal tief Luft. »Ich wurde beschuldigt, ein paar Absätze, die Sie geschrieben haben, plagiiert zu haben. Ich habe es nicht getan, aber ich wurde dessen beschuldigt …«
    Er verstummte und wartete. Louis Smith brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fassen.
    »Aber das ist verrückt«, sagte er. »Wer beschuldigt Sie?«
    »Ich weiß es nicht. Ich dachte, vielleicht Sie.«
    »Ich?«
    »Ja.«
    »Nein, ganz und gar nicht. Unmöglich.«
    Scott fühlte sich wieder schwindelig. Er wusste nicht im Geringsten, was er von dem Ganzen halten sollte. »Aber ich habe einen Ausdruck Ihrer Doktorarbeit vor mir, und darin gibt es eine Reihe von Abschnitten, die Wort für Wort identisch sind. Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber …«
    »Unmöglich«, wiederholte Louis Smith. »Als Ihr Artikel erschien, hatte ich meine Arbeit schon Monate fertig, aber Ihre Forschungsarbeit muss mehr oder weniger zeitgleich gelaufen sein. Sie kommen an meinen Text fast nur auf der Universitäts-Website und über ein paar Links von historischen Sites heran. Die Vorstellung, dass Sie sie gefunden und dann ein paar Formulierungen übernommen haben sollen, ist mir ein absolutes Rätsel. Können Sie mir die Abschnitte vorlesen, die gleich sind?«
    Scott sah sich die gelb markierten Passagen an.
    »Ja«, sagte er. »In meinem Artikel schreibe ich auf Seite dreiunddreißig …«
    Anschließend las Scott den entsprechenden Paragraphen in dem anderen Dokument vor.
    Louis Smith reagierte langsam. »Also, das ist höchst merkwürdig, weil nämlich dieser Abschnitt, den Sie gerade vorgelesen haben und der angeblich in beiden Texten vorkommt, im meinem nicht existiert. Das heißt,

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