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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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oft allein herum.«
    »Ich melde mich.«
     
    Larissa legte den Hörer auf, sprang mit einem Satz aus dem Bett und räkelte sich vor dem hohen, fast bis zur Decke reichenden Spiegel. Ein kleiner Muskelkater konnte überhaupt nicht schaden! Dafür reckten die Männer die Hälse nach ihrer schlanken, sportlichen Figur. Larissa betrachtete äußerst zufrieden ihre langen Beine und straffen Brüste, schüttelte übermütig ihr kurzes blondes Haar (naturblond, übrigens!), zwinkerte ihrem Spiegelbild zu und wandte sich zum Schreibtisch. Die Einkaufsliste: Joghurt, Kaffee … das Übliche eben. Geld hatten die Eltern genug dagelassen, und Larissa registrierte es mit einem Grinsen: Schließlich wusste sie, dass man mit Geld wesentlich sinnvollere Dinge anstellen konnte, als es für Joghurt oder Kaffee auszugeben.
    Ihre Fähigkeit, andere Menschen zu manipulieren, war Larissa vor einigen Monaten bewusst geworden. Schon in der Kindheit hatte sie einen ruhigen, ausgeglichenen Charakter offenbart, kam mit allen gut aus und konnte hervorragend mit Tieren umgehen. Pferde, Hunde und Katzen schienen dem Charme des Mädchens augenblicklich zu erliegen und in ihrer Gegenwart verwandelte sich selbst der beißwütigste Bullterrier in einen verschmusten Schoßhund.
    Erst in jüngerer Zeit hatte Larissa festgestellt, dass sie ihr Talent, andere zu beeinflussen, gezielt einsetzen konnte. Wenn sie störende Nebengeräusche ausblendete und sich völlig darauf konzentrierte, konnte sie ihre Gedanken und Wünsche den Menschen in ihrer Umgebung gleichsam aufzwingen. Ihre Eltern drückten dann beide Augen zu, wenn sie spätnachts nach Hause kam, mit einer supermodischen, aber geschmacklosen Hose herumlief, ihr linkes Ohr mit zwei zusätzlichen Ohrringen schmückte oder weiß Gott was sonst noch ausheckte. Nach einiger Zeit begnügte sich Larissa nicht mehr damit, ihre Eltern milde zu stimmen, sondern probierte ihre Fähigkeiten auch an anderen Menschen aus: an Freunden, Dozenten, Verkäufern …
    Mit zunehmender Übung wurde sie auch immer besser. Nach und nach schaffte sie es, anderen nicht nur Gefühle, sondern auch Vorstellungen einzuimpfen. Sie konnte Leute dazu bringen, an Dinge zu glauben, die es nicht gab. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, waren geradezu fantastisch. Doch den entscheidenden Schritt nach vorn machte sie, als sie lernte, eine Art Wirbel zu erzeugen. Sie wusste nicht, was das ist, und verstand auch nicht, wie er funktionierte, doch dieser Wirbel machte es ihr noch leichter, stets ihren Willen durchzusetzen.
    Ihre neuen Fähigkeiten verliehen der jungen Frau Selbstbewusstsein, ein Gefühl von Macht und nicht zuletzt sichere Einkünfte. Vergnügt nahm Larissa die Geldscheine vom Tisch und steckte sie in ihren Geldbeutel.
     
     
    Moskau, Uferpromenade des Flusses Jausa
Samstag, 16. September, 09:13 Uhr
     
    Derjenige, der diesen Teil Moskaus geplant hat, war ein ausgemachter Dummkopf.
    Am Ufer der Jausa müssten Wohngebäude stehen, private oder städtische, Mietshäuser oder kleine Villen, Barock oder Hightech, völlig egal – jedenfalls sollten hier Menschen wohnen, die sich daran freuen, wenn die Sonnenstrahlen im Fluss glitzern. Abends könnten sie auf der Uferpromenade spazieren gehen oder einfach auf einer der schmalen, buckligen Brücken rasten und versonnen aufs träge dahinströmende Wasser schauen. Man hätte hier lauschige Parks anlegen können, in denen sich die einmalige Schönheit unberührter Natur mit menschlicher Fantasie verbindet. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, die Uferbereiche der Jausa sinnvoll und ästhetisch zu gestalten. Stattdessen hatte man sie zu Zeiten des Imperiums mit Fabriken, kahlen Mauern und den gesichtslosen Betonklötzen irgendwelcher Forschungsinstitute zugebaut. Inzwischen hat sich das ehedem saubere und lebendige Flüsschen in eine trübe, schmutzige Brühe verwandelt, die man aus unerfindlichen Gründen in ein Bett aus Granit gezwängt hat.
    Kornilow stieg aus seinem Dienstwolga aus und blinzelte in die grelle Sonne.
    »Soll ich hier warten?«, erkundigte sich Palytsch, sein Fahrer.
    Andrej schüttelte den Kopf: »Fahr weg und hol mich in einer Dreiviertelstunde wieder ab, nicht früher.«
    Während der Wolga im dichten Berufsverkehr entschwand, schlenderte Kornilow am Uferweg entlang, stützte sich dann auf das warme, schwarze Metallgeländer und zündete sich eine Zigarette an. Der Major hatte es eilig, seinen Nikotinspiegel in Ordnung zu bringen, denn derjenige,

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