Das Opfer
der Nase.
»Frosja, hau ab!«
Schlaftrunken schob Larissa die Katze weg, doch die dachte überhaupt nicht daran, das Feld zu räumen. Sie miaute entrüstet und versetzte ihr einen neuerlichen Nasenstüber. Larissa gab auf. Sie streichelte mit der Hand über den Rücken des dreisten Haustigers, der triumphierend zu schnurren begann.
Frosja machte sich würdevoll auf dem Kopfkissen breit und leckte sich hingebungsvoll die Pfoten. Larissa öffnete die Augen und streckte sich.
Die Wanduhr zeigte halb neun. Früh. Zu früh angesichts des Umstands, dass sie erst um halb zwei Uhr nachts ins Bett gekommen war. Ins Zimmer fluteten grelle Sonnenstrahlen, durchs gekippte Fenster drang die erfrischende Kühle des jungen Herbstmorgens, und die Katze schnurrte zufrieden auf dem eroberten Kopfkissen. An Weiterschlafen war also nicht zu denken.
Larissa streckte sich abermals. Ihre Eltern hatten sich gestern auf die Datsche abgesetzt, um den herrlichen Altweibersommer im Grünen zu genießen. Bestimmt hatten sie ihr eine Einkaufsliste hinterlassen. Die junge Frau spähte zum Schreibtisch hinüber und tatsächlich: Dort lagen ein Zettel und einige Geldscheine. Was soll’s, dachte Larissa. In die Uni musste sie heute ohnehin nicht. Sie schrieb gerade an ihrer Diplomarbeit und stattete der Alma Mater bestenfalls einmal in der Woche einen Besuch ab.
Die junge Frau war nun endgültig wach und spürte ihre Muskeln, die nach dem gestrigen Skatingabend im Park noch ein wenig schmerzten. Ein Königreich für eine Wechseldusche! Sie wollte sich gerade aus der Decke schälen, da fielen ihr die gestrigen Ereignisse wieder ein.
Diese verdammten Glatzen! Wo waren die plötzlich hergekommen? Sie hatten den ganzen Abend verdorben. Andererseits, wieso verdorben? Ihre Begleiter, besonders Viktor, hatten sich von ihrer besten Seite gezeigt und dem kahlgeschorenen Gesindel klargemacht, wie man sich jungen Frauen gegenüber zu benehmen hat.
Die Erinnerung an das beherzte Eingreifen der jungen Männer löste beinahe romantische Gefühle bei Larissa aus, und sie musste unwillkürlich lächeln. Warum nur hatte sie es abgelehnt, mit ihnen danach noch in die Sportbar zu fahren? Nun ja, die ganze Aufregung, der Schrecken. Andererseits hatte sie lange nicht so panisch reagiert wie Olga, die einfach Hals über Kopf davongelaufen war. Sie hatten ihre Freundin auch danach nicht mehr gefunden, obwohl sie noch ziemlich lange durch den Park irrten und nach ihr riefen. Es konnte nicht schaden, nachzufragen, ob sie gut nach Hause gekommen war.
Larissa griff nach dem Telefon und tippte die Nummer ihrer Freundin ein.
»Olga? Guten Morgen, hier ist Larissa.«
»Larissa, hallo.«
Die Stimme ihrer Freundin klang ein wenig seltsam. Irgendwie verstört – oder verschlafen? Erst jetzt machte Larissa sich klar, wie früh es noch war, und Olga hatte keine unverschämte Katze zu Hause. Sie streichelte dem Tier zerstreut über den Kopf. Frosja war inzwischen in einen genießerischen Halbschlaf gesunken und zuckte nur mit den Pinselohren, ohne die Augen zu öffnen.
»Ich habe dich doch hoffentlich nicht geweckt? Wo bist du gestern abgeblieben? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!«
»Wer ist dran?«, erkundigte sich Artjom.
»Eine Freundin«, antwortete Olga, während sie mit der Hand den Hörer zuhielt. »Tut mir leid, Larissa, ich hatte mich einfach verirrt. Ich bin durchs Gebüsch gerannt, bis ich plötzlich am Lenin-Prospekt herauskam. Dort habe ich mir ein Taxi genommen und bin heimgefahren. Ich hatte einfach den Kopf verloren vor lauter Angst, sorry.«
»Du bist mir vielleicht eine Heldin! Wir haben dich bis ein Uhr nachts gesucht! Du hast übrigens eine ziemlich gute Show verpasst. Die Jungs haben diese Glatzen ordentlich vermöbelt. So schnell lassen die sich nicht mehr im Gorki-Park blicken. Viktor hat ihrem Anführer sämtliche Zähne ausgeschlagen! Als sie angelaufen kamen …«
Die muntere Stimme der Freundin begann sich zu überschlagen. Artjom schmunzelte und verzog sich diskret in die Küche. Olga nützte diese Gelegenheit, um ausgiebig zu gähnen, und beschloss, das Gespräch zu beenden.
»Sei mir nicht böse, Larissa, aber ich muss zur Arbeit.« An einem anderen Tag hätte sie sich die Heldentaten des unvergleichlichen Viktor vielleicht sogar angehört, doch heute hatte sie entschieden keine Lust dazu. »Lass uns am Abend telefonieren, okay?«
»Okay. Sehen wir uns am Abend?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Raff dich auf, du hängst viel zu
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