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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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quälen, nicht entgehen lassen. Ihre veilchenblauen Augen begannen zu leuchten, als sich ihre zarte, schmale Hand mühelos durch Pawlows Brustkorb schob und ihre langen Finger wie Krakenarme sein Herz umkrallten. Diesen Zauber mit dem Namen Phantomskalpell hatten die Erli-Mönche zu rein medizinischen Zwecken erdacht, um bei chirurgischen Eingriffen keine Zeit mit dem Öffnen des Gewebes zu verlieren. Kara freilich hatte recht eigenwillige Vorstellungen von den Einsatzmöglichkeiten dieser therapeutischen Errungenschaft.
    Der Geschäftsmann begann zu röcheln. Er konnte nicht mehr sprechen, und sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt.
    »Sergej, was ist mit ihm?«
    »Er stirbt!«
    Karas feingliedrige, mit langen scharfen Nägeln besetzte Finger quetschten das Herz ihres Opfers gnadenlos zusammen. Sie weidete sich an ihrer Macht über Leben und Tod. Pawlow lief blau an, seine Augen traten aus den Höhlen, seine Muskeln erschlafften, und er sank vom Stuhl herab zu Boden. Mit einem flinken Schritt zur Seite wich Kara dem aufspringenden Waskin aus, wischte sich die blutverschmierte Hand mit einem Taschentuch ab und beobachtete mit einem zufriedenen Grinsen das hektische Treiben der Polizisten. Schustow riss Pawlows Hemd auf, Waskin kniete sich neben ihn und begann mit einer Herzmassage.
    »Ruft einen Krankenwagen! Einen Notarzt, schnell!«
    Waskin presste rhythmisch den Handballen auf den Brustkorb des Geschäftsmanns. Als Schustow sah, dass Pawlows Augen erloschen und das Leben aus ihm wich, beugte er sich zu dem Sterbenden herab.
    »Das Original, Pawlow! Wo ist das Original?!«
     
    »Was war denn das für ein Tumult im Gastraum?« Kara legte das Handy weg und sah die Kellnerin treuherzig an. »Ist etwas passiert?«
    Der beglückende Endorphinschub, den der Mord in ihr ausgelöst hatte, flaute bereits wieder ab, und Kara empfand eine gewisse Ernüchterung. Sie machte es sich zum Vorwurf, dass ihr das Töten Freude bereitete. Denn die Mordlust war eine Schwäche und für einen guten Magier sollte jede Art von Schwäche tabu sein.
    »Einem Gast ist schlecht geworden, Madame. Man hat ihn in einen Nebenraum gebracht.«
    »Er hat sich doch hoffentlich nicht vergiftet?«, erkundigte sich Kara sarkastisch.
    »Zum Glück nicht, Madame. Das Herz.«
    Dieser Mistkerl von Edik, dachte Kara verbittert. Anstatt für Pawlow einen billigen Killer anzuheuern, hatte er ungeniert sie eingespannt! »Ich möchte nicht, dass Pawlow ermordet wird«, hatte er zu ihr gesagt. »Er soll eines natürlichen Todes sterben. An Asthma zum Beispiel. Hähähä. Und am besten im Beisein von Polizisten als Zeugen.«
    Sie sah Edik noch vor sich, wie er sich hämisch die Hände rieb.
    Jetzt ist dein Pawlow an einem Herzanfall verreckt. Bist du nun zufrieden?
    Kara presste die Lippen zusammen.
    Aber ich vergesse dir das nicht, Edik! Du wirst es noch bereuen, dass du mich für deine schmutzigen Geschäfte missbraucht hast.
    »Also das Herz, sagen Sie? Das ist ja furchtbar. Es geht ihm doch hoffentlich wieder besser?«
    »Er ist gestorben.«
    »Wie traurig.«
    Die Kellnerin wollte gerade wieder gehen, doch Kara hielt sie sanft am Arm zurück. »Meine Freundin wird sich verspäten. Ich nehme jetzt doch ein Dessert.«
    »Sie werden es nicht bereuen, Madame.«
    »Davon bin ich überzeugt.« Kara schaute zerstreut auf ihren unberührten Apfelsaft. »Also dann einen Fruchtcocktail und einen Kaffee.«
    Sie blinzelte in die Sonne, und als sie den Blick des ergrauten Möchtegern-Don-Juans auf sich lasten spürte, lehnte sie sich aufreizend zurück und stellte ihre Vorzüge demonstrativ zur Schau. Soll er ruhig glotzen, der alte Esel, dachte sie gehässig.
    Kara warf noch einmal einen Blick ins Innere des Lokals, wo immer noch die Polizisten zugange waren, und ihre Laune besserte sich. Diese armseligen Trottel verstanden jetzt sicher die Welt nicht mehr und beklagten die tragische Verkettung unglücklicher Umstände.
    Und was Edik betraf … Im Moment brauchte sie diesen Mafioso noch. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als seine schwachsinnigen Aufträge hin und wieder zu erfüllen. Schließlich sollte er glauben, dass sie ihm hörig wäre.
     
     
    Städtisches Mietshaus
Moskau, Jablotschkow-Straße
Samstag, 16. September, 09:26 Uhr
     
    Die japanische Musikanlage gab wenig vertrauenserweckende Klack- und Piepgeräusche von sich – der Zufallsgenerator des CD-Players wählte einen neuen Titel aus – und kurz darauf ertönte sanfte Popmusik:
Deine Kugeln schmelz

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