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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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drängte Olga in den Gang hinaus, drehte sich noch einmal um und verpasste dem Monster, das bereits wieder auf den Beinen stand, weitere sechs Kugeln. Die Morjane strauchelte, brüllte und schlug wütend mit dem Schwanz. Dabei fegte sie Olgas Kakteensammlung vom Fensterbrett. Ein paar Sekunden würde die Bestie brauchen, um sich wieder zu sammeln, das konnte gerade reichen, um zu fliehen. Artjom rannte in den Gang hinaus, zwängte sich an der völlig konsternierten Olga vorbei und riss die Eingangstür auf.
    »Oh, ähm … und wo ist Olga?« Im Treppenhaus stand eine großgewachsene Schwarzhaarige. »Olga? Was ist los? Wo wollt ihr denn hin?!«
    »Galja?«
    Aus dem Wohnzimmer drang das Gebrüll des Monsters. Artjom schob Olga ins Treppenhaus und schlug die Wohnungstür zu.
    »Wer ist das?«
    »Galja. Eine Freundin von mir.«
    »Schnell, mir nach!!«
    Die Schritte der Morjane polterten bereits durch den Gang. Die Flüchtenden sausten die Treppen hinab, rannten auf die Straße hinaus und sprangen in den Land Cruiser, den der vorausschauende Cortes dort stehen gelassen hatte.
    »Wohin fahren wir?«, erkundigte sich Galja.
    »Erkläre ich später!«
    Der Jeep fuhr mit quietschenden Reifen an den empörten Straßenarbeitern vorbei, wendete ohne Rücksicht auf den Verkehr und brauste davon.
    »Was ist denn dort oben passiert?«, fragte Galja und nahm die zitternde Olga in den Arm. »Ich habe Schüsse gehört!«
    »Später, später.« Artjom zückte sein Handy und rief seinen Kompagnon an. »Cortes? Wir sind schon wieder angegriffen worden!«
    »Eine Morjane?«
    »Ja, wieder so ein Irrer wie beim letzten Mal.«
    »Das wird ja schon zur Gewohnheit«, witzelte Cortes. »Hast du sie getötet?«
    »Nein, aber wir konnten fliehen.«
    »Wohin fahrt ihr?«
    »Zu mir.«
    »Ich gebe Jana Bescheid«, erklärte der Söldner und legte auf.

KAPITEL SECHS
    Zitadelle, Hauptquartier des Herrscherhauses Naw
Moskau, Leningradski-Prospekt
Samstag, 16. September, 10:07 Uhr
     
    Der Fürst des Dunklen Hofs, der mächtige Gebieter des Herrscherhauses Naw, pflegte wichtige Angelegenheiten in einer spartanisch eingerichteten Kammer zu besprechen, in der es so finster war, dass man die Wände nicht sehen konnte. Doch die Dunkelheit in diesem Raum war nicht homogen: Zonen undurchdringlicher, fast stofflich wirkender Schwärze wurden von gespenstisch schummrigen Schleiern durchbrochen. Die Einrichtung bestand aus einem Holzstuhl mit gerader Lehne – auf ihm saß der Fürst – und einem Tisch, dessen größter Teil in der Finsternis verborgen lag. Am Rand der Tischkante lehnte Santiago, der Kommissar des Dunklen Hofs. Obwohl keine sichtbaren Lichtquellen vorhanden waren, konnten sich die Gesprächspartner im grauen Halbdunkel hervorragend sehen.
    Im Unterschied zum Gebieter des Herrscherhauses, der einen schlichten schwarzen Mantel mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze trug, bevorzugte Santiago menschliche Kleidung und sein eleganter beiger Anzug hob sich als heller Fleck von der umgebenden Düsternis ab.
    »Wie oft hast du mir schon versprochen, nicht mehr in weißen Anzügen zu Audienzen zu erscheinen?«, nörgelte der Fürst, dessen Stimme dumpf und etwas heiser klang.
    »In diesem Jahr oder insgesamt?«, präzisierte der Kommissar.
    »Im letzten Monat.«
    Santiago massierte nachdenklich seine Nasenspitze.
    »Sechsmal vielleicht?«
    »Achtmal.«
    »Möglich.« Der Kommissar zuckte mit den Achseln. »Und?«
    »Du hast schon wieder so einen weißen Humo-Fummel an.«
    »Es ist beige.«
    »Für mich ist das ein und dasselbe.« Der Gebieter des Dunklen Hofs seufzte. »Warum hältst du dein Versprechen nicht?«
    »Draußen ist es immer noch heiß, Fürst. Ein Altweibersommer wie aus dem Bilderbuch. In dunkler Kleidung würde ich mich äußerst unwohl fühlen.«
    »Das ist doch eine Lappalie. Wohlfühlen ist etwas für Weicheier.«
    »Eine Lappalie? Ich hasse es, unter den Achseln zu schwitzen. Und dann dieser unangenehme Geruch. Bevor ich mir das antue, breche ich lieber mal ein Versprechen.«
    »Versprechen hat man gefälligst einzuhalten«, versetzte der Fürst.
    »Das ist eine mehr als fragwürdige Theorie«, widersprach Santiago. »Wenn ein Versprechen mir selbst schadet, warum sollte ich es dann einhalten?«
    »Dann hättest du es nicht geben dürfen.«
    »Also gut, ich gebe zu, dass ich einen Fehler gemacht habe. Andererseits habe ich dieses Versprechen nur unter dem Druck Ihrer Autorität gegeben, gezwungenermaßen also, und deshalb kann man

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