Das Orakel der Seherin
Seters Gesicht gleitet ein Lächeln. »Irgendwie glaube ich nicht daran, daß Sie mit dem Bösen im Bunde sind.« Er wendet sich James zu. »Ich würde gern kurz allein mit dir sprechen, mein Sohn.«
Ich erhebe mich und weise in Richtung Eingang. »Wir werden vorn auf Sie warten. Lassen Sie sich Zeit, Ihre Entscheidung zu treffen.«
Natürlich achte ich auch im Weggehen darauf, was sie sagen. Es ist nur ein kurzes, aber sehr eindringliches Gespräch, das Vater und Sohn miteinander führen.
James: »Sie wußte den Namen der Dunklen Mutter. Aus unserer Gruppe kennt ihn niemand – außer uns selbst.«
Dr. Seter: »Sie weiß vieles, das ich bisher für unmöglich gehalten hätte. Aber das beweist noch lange nicht, daß wir ihr vertrauen können.«
James: »Aber du hast ihre Argumente gehört. Es sind die gleichen, die ich seit Monaten aufführe. Diese Vorfälle, von denen wir gelesen haben, sind alle auf dieselbe gefährliche Macht zurückzuführen. Allerdings hat Alisa die Puzzleteilchen geschickter zusammengefügt als wir selbst. Ich kann dir nur sagen, Vater, ich glaube ihr. Und ich denke, daß wir ihr vertrauen sollten.«
Dr. Seter: »Letzte Nacht hast du noch die Befürchtung geäußert, daß sie selbst für die Dunkle Mutter arbeiten könnte.«
James: »Aber sie verhält sich nicht wie jemand, der uns Schaden zufügen will. Gerade eben hat sie uns Unmengen von Informationen gegeben, die sie uns nicht hätte geben müssen. Informationen, die wir durchaus gegen die Dunkle Mutter verwenden können.«
Dr. Seter: »Nur wenn sie stimmen.«
James: »Das tun sie. Schau, sie bittet uns ja nur, ihr zu vertrauen. Wenn wir diese Person, von der sie spricht, treffen, werden wir innerhalb von Sekunden sicher wissen, ob sie die Dunkle Mutter ist oder nicht. Und Alisa hat recht, wenn sie sagt, daß wir uns auf einen Angriff vorbereiten müssen. Es ist die einzige Möglichkeit, unsere Leute zu schützen.«
Dr. Seter: »Aber was, wenn sie uns anlügt? Was, wenn sie doch für die Regierung arbeitet und versucht, unserer Gruppe während einer illegalen Aktion eine Falle zu stellen? Denke darüber nach, Jim, und darüber, daß wir eine Festung stürmen müssen! Wenn es wirklich eine Falle der Regierung sein sollte, werden wir in den Augen der Öffentlichkeit nichts anderes sein als eine weitere gefährliche Sekte.«
James: »Sie wird dabei sein, wenn wir angreifen. Wenn sie uns angelogen hat, wird sie dafür bezahlen müssen.«
Dr. Seter: »Das sagst du jetzt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du ihr auch nur ein Haar krümmen würdest.«
James: »Ich glaube nicht, daß es notwendig sein wird. Ich glaube, daß wir genug damit zu tun haben werden, uns mit unserem wirklichen Feind zu beschäftigen.« Er zögert. »Wir sollten es tun. Wenn wir jetzt nicht reagieren, Vater, werden wir uns für den Rest unseres Lebens Vorhaltungen machen. Das sagt mir mein Gefühl.«
Dr. Seter antwortet nicht gleich. Aber schließlich stimmt er seinem Sohn zu.
9.
KAPITEL
Der Angriff hat noch nicht begonnen, aber schon jetzt fällt mir etwas sehr Merkwürdiges auf. Ursprünglich hatte ich mich an Dr. Seter und James gewandt, weil ich wußte, daß ich weder physisch noch psychisch die besten Voraussetzungen mitbringe, um Kalika zu töten. Zum einen ist sie stärker als ich, zum anderen kann ich mir einfach nicht vorstellen, ihr etwas anzutun. Also beabsichtigte ich, zwanzig Leute mit Pistolen auf sie loszulassen, selbst die Augen zu schließen – und später zu hören, daß alles vorüber sei. Deine Tochter ist tot, die Welt ist wieder sicher. Doch die Suzama-Society scheint aus weit mehr als zwanzig bewaffneten Personen zu bestehen. Eigentlich sollte ich erleichtert sein, daß sie viel besser vorbereitet sind, als ich dachte, aber merkwürdigerweise bin ich das nicht.
Ich befinde mich in dem leerstehenden Büro 3670 – in dem Gebäude gegenüber Kalikas Apartmenthaus. Der Olympic Boulevard trennt mich von meiner Tochter, eine Straße, die jetzt, um drei Uhr morgens, nur wenig befahren ist. Außer mir befinden sich noch Dr. Seter, Seymour, James und zwei Scharfschützen mit laserausgerichteten Gewehren im Raum. Sie haben eine runde Öffnung ins Fenster geschnitten und richten jetzt ihre Waffen auf Kalikas Wohnung aus, was nicht einfach ist, denn wir befinden uns achtzehn Stockwerke höher als sie. Die Fenster zu Kalikas Wohnung sind mit vertikalen Jalousien geschützt. Einen besseren Blick als auf sie haben wir auf die zwei Balkone
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