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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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wie alt dieser Tunnel ist?“
    „Das ist schon schwieriger zu sagen. Unter der Erde gibt es keine natürliche Verwitterung der Steine, die uns etwas über ihr Alter verraten würde.“
    Ich nickte und erinnerte mich an die Pyramide. Den Priestern zufolge war sie mehr als zweitausend Jahre alt, doch die Steinarbeiten im Inneren sahen aus, als wären sie gerade erst am Tag zuvor fertig geworden.
    „Dieser Tunnel ist längst nicht so alt wie der des Orakels“, sagte Perna. „Der Tempel ist auf jeden Fall älter als der Tunnel. Heute ist er ein griechischer Tempel, aber ein Großteil der Steinarbeiten reicht zurück in die prägriechiche Ära. Sein Fundament wurde aus riesigen Blöcken errichtet, was auf keinen Fall ein Werk der Einheimischen ist, er erinnert eher an die Vorgehensweise der Ägypter. Der Tempel selbst stammt aus einer noch älteren Zeit. Er ist ein rein campanisches Bauwerk. Später kamen dann die Griechen und modifizierten ihn nach ihrem Geschmack.“
    Für einen Ort wie diesen, der unzählige Male sowohl voll kriegerischen Eroberern als auch von friedliebenden Einwanderern überrollt worden war, war das nichts Ungewöhnliches. In Sicilia hatte ich noch kompliziertere Konstruktionen gesehen. Warum ein gutes, solides Fundament oder stabile Wände verschmähen, wenn man darauf einfach weiterbauen und das Ganze neu gestalten konnte?
    „Wie lange lebt deine Familie schon in dieser Gegend?“, fragte ich.
    „Du willst wissen, wie dieser Tunnel gebaut werden konnte, ohne dass irgendjemand davon erfuhr?“ Er verfügte über eine gewisse angeborene Intelligenz, das musste man ihm lassen. Er rieb sich das Kinn. „Ich würde sagen, das dürfte ohne größere Schwierigkeit zu bewerkstelligen sein. Wenn ich den Auftrag bekäme, einen solchen Tunnel zu bauen, würde ich mir ausländische Arbeiter besorgen und sie abgeschirmt und unter Bewachung in Baracken unterbringen. Da Tag und Nacht unter der Erde gleich sind, könnten sie nachts arbeiten. Den Schutt könnte man in Körben heraustragen und auf den Feldern oder in den Flüssen der Umgebung entsorgen.“ Er überlegte eine Weile, bevor er weiter sprach. „Aber ich kann mir noch eine bessere Vorgehensweise vorstellen.“
    „Nämlich?“
    „Man baut den Tunnel während einer Restaurierung des Tempels. Auf diese Weise nähme niemand von den Arbeiten Notiz. Man müsste die Trümmer und den Schutt nicht verbergen. Nur die Gaffer müsste man fernhalten. Und dazu sind Priester bestens in der Lage; sie können mit Flüchen drohen, vor ritueller Verunreinigung warnen oder über düstere Omen fabulieren.“
    „Du scheinst in diesen Dingen ziemlich bewandert zu sein“, lobte ich ihn.
    Er grinste. „Müßiggänger sind eine der Dauerplagen im Baugewerbe. Aus irgendeinem Grund hängen sie ständig auf Baustellen herum und stehen einem im Weg.“
    „Dieses Phänomen habe ich auch schon beobachtet.“ „Deshalb habe ich mich zum Verscheuchen dieser Nichtsnutze bereits mehr als einmal eines Priesters oder eines Wahrsagers bedient. Meistens funktioniert es.“
    „ Vielen Dank, mein Freund“, sagte ich und klopfte ihm in Politikermanier auf die Schulter. „Du hast mir reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben.“
    „ Freut mich, wenn ich dir helfen konnte“, entgegnete er. „Wenn du mir noch eine Frage gestattest - was haben die Steinarbeiten mit dem Verbrechen zu tun, das sich hier ereignet hat?“
    „ Keine Ahnung“, gestand ich. „Vielleicht helfen mir die Informationen auch gar nicht weiter. Aber ich habe schon vor langer Zeit herausgefunden, dass es für die Aufklärung eines Verbrechens von entscheidender Bedeutung sein kann, alles auch nur Erdenkliche über einen Ort, einen Tatort oder eine Familie in Erfahrung zu bringen.“
    „Wenn du es sagst, Praetor“, entgegnete er skeptisch. Wieder jemand, der mich nicht verstand.
    Als Nächstes bestellte ich Hermes zu mir. „Schaff mir den hiesigen Geschichtsschreiber her!“, sagte ich schroff, und diesmal hütete er sich, mir mit einer dummen Frage zu kommen. Es musste einen geben, da war ich sicher. Es gibt immer einen. Normalerweise ist es ein anstrengender alter Pedant, der nichts Besseres zu tun hat und seine ansonsten wertlose Zeit damit verbringt, die Banalitäten der örtlichen Geschichte zusammenzutragen: die sagenhaften Vorfahren, die geschlagenen Schlachten, die sozialen Bewegungen und, natürlich, lokale Ahnenforschung. In Rom wimmelte es nur so von Geschichtsschreibern, schließlich war Rom

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