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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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verrückten alten Mann zu bestrafen.“
    „Aufgrund ihrer Unsterblichkeit haben die Götter ein für uns mitunter eigentümliches Verständnis von Proportionen. Aber sie lassen sich nicht verhöhnen oder für fremde Zwecke missbrauchen.“
    „Hekate stammt aus Thrakien. Ob sie überhaupt weiß, was in Italia vor sich geht?“
    „Also wirklich, Decius, du hast merkwürdige Vorstellung von den Göttern. Als ob sie einfach nur übergroße, mit Unsterblichkeit und zusätzlicher Macht ausgestattete Lebewesen wären. Eine derartige Vorstellung darf man vielleicht bei Primitiven und unwissenden Bauern erwarten, aber nicht von einem gebildeten Römer der herrschenden Klasse.“
    „Wir können schließlich nicht alle Philosophen sein“, entgegnete ich, doch in Gedanken war ich längst woanders. Mir ging alles Mögliche im Kopf herum, und ich versuchte verzweifelt, all meine Erkenntnisse irgendwie zu einem Ganzen zusammenzufügen. Mörder und Tunnel, Belüftungsschlitze in den Decken und Miniaturpfeile, jahrhundertealte Feindschaften und die allgemeine Vorbereitung auf einen Bürgerkrieg, ein unterirdischer Fluss mit einer heimtückischen Strömung und alle möglichen anderen Dinge, die einfach keinen Sinn ergaben. Aber ich war sicher, dass sie mir das Geheimnis enthüllten, wenn ich sie nur in der richtigen Ordnung zusammensetzte, vielleicht ergänzt um einige noch fehlende zusätzliche Erkenntnisse.
    „Decius?“, fragte Julia.
    „Ja, was denn?“, entgegnete ich zerstreut.
    „Du könntest genauso gut in Kappadokien sein“, stellte sie entrüstet fest. „Ich habe eben von Pompeius gesprochen.“
    „Tatsächlich? Dann muss ich wohl eingenickt sein. Ich hatte einen langen Tag.“
    „Du hast mich einfach ignoriert. Ich habe gesagt, dass Pompeius' Anwesenheit die Hierarchie des sozialen Gefüges grundlegend ändert. Du bist nicht mehr der ranghöchste römische Amtsträger in dieser Gegend. Pompeius war zweimal Konsul, und zur Zeit ist er Prokonsul und für Italia mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet - was kicherst du?“
    „Ich musste gerade an Sabinilla denken. Bestimmt verflucht sie sich dafür, dass sie diese fantastische Feier zu meinen Ehren gegeben hat und wünschte, sie hätte sie für Pompeius aufgespart. Was will sie ihm jetzt bieten? Um noch einmal so einen Abend auf die Beine zu stellen, bräuchte sie Monate für die Vorbereitung.“
    Diese Vorstellung brachte sogar Julia zum Lächeln. „Die Ärmste. Bestimmt rauft sie sich vor Wut die Haare, wirft mit Sachen um sich und erweckt mit ihrem Geschrei die Toten zum Leben.“
    „Falls sie überhaupt Haare zum Raufen hat. Ich habe sie bisher nur mit Perücken gesehen.“
    Wir hatten es uns auf einer kleinen Terrasse bequem gemacht, die vom Sockel des Apollotempels abging. Dass ich um ein Haar ertrunken wäre, hatte Julia drei Atemzüge lang Sorgen bereitet, dann hatte sie mich wegen meiner zahlreichen Fehleinschätzungen zusammengestaucht. Ich hatte mit einer weitaus schlimmeren Standpauke gerechnet. Die Nacht war kühl und angenehm, der Lärm der kampierenden Menge weitgehend verstummt und nur noch als ein fernes Gemurmel zu hören, das von einem gelegentlichen Flötenspiel untermalt wurde. Wir hatten gerade eines jener seltenen Abendessen zu zweit genossen, und jetzt fächerten uns zwei Sklavenmädchen mit riesigen Straußenfedern, die Julia von irgendwo hervorgezaubert hatte, Luft zu und vertrieben die Fliegen. Es gibt Schlimmeres, als sich die Zeit einen ganzen Abend lang so zu vertreiben.
    „Weißt du, was mich überrascht?“, fragte ich. „Was denn?“
    „Dass bisher niemand versucht hat, mich umzubringen. Immerhin ermittele ich in einem Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Da wäre es nicht überraschend, wenn mich jemand aus dem Weg schaffen wollte. Normalerweise versuchen Verbrecher immer, den Ermittler zu beseitigen.“
    Sie schloss die Augen. „Rede nicht so. Sonst reizt du die Götter. Das bloße Aussprechen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert.“
    „Du bist abergläubisch“, wies ich sie zurecht.
    „Ist das nicht jeder?“, entgegnete sie.

    Am nächsten Morgen freute ich mich auf meine Lieblingsbeschäftigung, die darin besteht, absolut nichts vorzuhaben. Es war ein Tag, an dem offizielle Amtshandlungen verboten waren. Da ich bei meinen Ermittlungen an einem toten Punkt angelangt war, stand auch hier nichts auf dem Programm. Hermes hatte sich mit einigen Männern aufgemacht, um das Experiment mit dem Seil

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