Das Orakel des Todes
erstickt?“
„Ich weiß nicht gerade viel über die Eigenschaften von Luft“, entgegnete ich, „kaum mehr als über die von Wasser. Aber mir scheint, die Luft steigt aus dem Wasserkanal auf und wird sozusagen von dem Gang angesaugt. Vielleicht wird die Luftzufuhr unterbrochen, wenn die Tür oben verschlossen ist.“ Ich hatte einen Geistesblitz. „Deshalb ist Eugaeon im Wasser gelandet! Er hat sich in das Loch hinabgebeugt, um das letzte bisschen Luft einzusaugen. Dann hat er das Bewusstsein verloren und ist hinuntergestürzt, um kurz darauf zufällig direkt vor uns wieder aufzutauchen! „
„Warum nur er?“, fragte Hermes. „Was ist mit den anderen?“
„Er war der Ranghöchste. Vielleicht haben ihm die anderen den Vortritt gelassen. Vielleicht waren sie auch alle oben und haben mit Fäusten gegen die Tür geschlagen. Da oben sind sie wahrscheinlich noch schneller erstickt.“
Ich wies die Männer an, ihre Fackeln in das Loch zu halten und beugte mich hinab, genauso, wie es Eugaeon vermutlich vor seinem Tod getan hatte. Es sah aus wie ein natürlicher Tunnel. Ich war versucht, mich von meinen Männern an den Füßen festhalten zu lassen und weiter nach unten zu tauchen, aber irgendwie reichte mir meine Begegnung mit dem Wasser für diesen Tag. Also kam ich wieder hoch.
„Welche Möglichkeit haben wir festzustellen, wie weit die andere Kammer entfernt ist“, überlegte ich laut. Ich setzte mich auf den Boden und versuchte, wie ein Baumeister zu denken.
„Wir könnten irgendetwas, das schwimmt, an einem Seil befestigen“, schlug Hermes vor, „und im Abstand von jeweils einer Elle einen Knoten machen. Dann werfen wir das Seil runter, und wenn es in der Kammer wieder rauskommt, müssen wir nur noch die Knoten zählen.“
Ich nickte. „Eine gute Idee. Und woher wissen wir, wann es auf der anderen Seite rauskommt?“
Er dachte eine Weile nach. „In der Kammer muss ein Mann bereitstehen. Sobald das Seil herauskommt, schnappt er es sich und zieht einmal kräftig daran. Dann wissen wir, dass, wir nicht mehr Seil geben müssen.“
Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Du würdest einen guten Baumeister abgeben. Morgen will ich, dass du genau das tust.“
„Und was hast du vor? „, wollte er wissen.
„Schlafen, hoffe ich.“
Kapitel VIII
Julia war nicht gerade erbaut über meinen Ausflug in die Unterwelt, aber sie war nicht so wütend, wie ich befürchtet hatte.
„Es war nicht besonders weise von dir, die Gepflogenheiten des Orakels zu missachten und eine heilige Stätte wie eine heruntergekommene Mietwohnung in der Subura zu behandeln. Iola ist außer sich, und sie wird dich garantiert wegen dieses Sakrilegs anklagen, sobald du dein Amt niedergelegt hast.“ Während meiner Amtszeit war ich selbstverständlich gegen jede strafrechtliche Verfolgung immun, doch sobald ich mein Amt niedergelegt hatte, war ich für jedermann Freiwild und konnte mit Klagen überzogen werden.
„Aber Julia, wir wissen doch bereits, dass diese heilige Stätte betrügerischen Zwecken dient. Wie es aussieht, wird sie seit Jahren missbraucht, um gutgläubige Leute zu schröpfen und einige von ihnen sogar umzubringen.“
„Wir wissen gar nichts. Wir haben berechtigten Anlass zu glauben, dass zumindest einige Tempeldiener das Orakel gelegentlich aus Profitgier missbraucht haben und möglicherweise sogar Mord im Spiel ist, aber das beeinträchtigt die Heiligkeit dieses Ortes nicht im Geringsten.“
„Hekate muss eine ziemlich armselige Göttin sein, wenn sie derartige Vorfälle in ihrem Heiligtum duldet. Sie gilt doch eigentlich als Furcht erregend. Warum hetzt sie nicht ihre schwarzen Hunde auf die Übeltäter. Sie sind schließlich diejenigen, die das Sakrileg begehen, nicht ich.“
Trotz meines eindeutig sarkastischen Tonfalls schien Julia diese Überlegung für durchaus erwägenswert zu halten. „Die Götter strafen nicht unbedingt jede Tat sofort. Sie sind unsterblich, Zeit bedeutet ihnen nichts. Sie warten gerne den rechten Augenblick ab und denken sich eine passende Strafe aus. Erinnerst du dich noch, als Crassus sein Amt dazu missbraucht hat, eine Weissagung der Sibyllinischen Bücher zu fälschen? Zunächst ist er verschont geblieben, doch sein Feldzug in Syrien endete mit einer katastrophalen Niederlage.“
„Das wäre aber eine ziemlich grausame Strafe der Götter gewesen“, stellte ich fest. „Zehntausende römischer Legionäre und tausende Soldaten der Hilfstruppen zu töten, bloß um einen
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