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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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zu ihm: »Robert, Sie essen ja nicht. Schmeckt es Ihnen nicht?«
    Er nahm sofort eine Gabel voll Salat. »Doch«, sagte er. »Ich habe wirklich seit Jahren nichts mehr so Köstliches gegessen.«
    »Danke«, sagte sie, sichtlich erfreut. »Ich gebe mir große Mühe, daß es authentisch schmeckt… Ich habe in den winzigen amerikanischen Märkten an der Mission Street gekauft. Dort soll wirklich alles echt sein.«
    Sie kochen die Eingeborenenspeisen wirklich perfekt, dachte Robert Childan. Es stimmt schon, was immer gesagt wird: Ihr versteht euch einmalig auf Imitation. Apple pie, Coca Cola, der Spaziergang nach dem Kino, Glenn Miller… Ihr könntet ein komplettes künstliches Amerika aus Blech und Reispapier zusammenkleben. Eine Reispapier-Mom in der Küche und einen Reispapier-Dad, der die Zeitung liest. Mit einem Reispapier-Hündchen zu seinen Füßen. Alles.
    Paul beobachtete ihn stumm. Als Robert Childan es bemerkte, riß er sich aus seinen Gedanken und machte sich wieder über das Essen her. Ob er wohl meine Gedanken lesen kann, fragte er sich. Sehen, was ich wirklich denke? Ich weiß, daß ich es nicht gezeigt habe. Ich habe den richtigen Ausdruck zur Schau gestellt; er hat unmöglich etwas merken können.
    »Robert«, sagte Paul, »da Sie hier geboren und auch aufgewachsen sind und den U. S. Dialekt sprechen, könnten Sie mir vielleicht mit einem Buch helfen, das mir einige Schwierigkeiten bereitet hat. Ein Roman aus den dreißiger Jahren von einem U. S.-amerikanischen Schriftsteller.«
    Robert verbeugte sich leicht.
    »Das Buch«, meinte Paul, »das ziemlich selten ist und von dem ich dennoch eine Kopie besitze, stammt von Nathanael West. Der Titel lautet Miss Lonelyhearts . Ich habe es mit großem Vergnügen gelesen, aber begreife nicht ganz, was N. West damit sagen will.« Er sah Robert erwartungsvoll an.
    Robert Childan überlegte einen Augenblick und gab dann zu: »Ich – ich habe dieses Buch nie gelesen, fürchte ich.« Noch, dachte er, je davon gehört.
    Pauls Ausdruck verbarg seine Enttäuschung nicht. »Schade. Ein dünnes Buch. Es handelt von einem Mann, der eine Spalte in einer Tageszeitung schreibt; er erhält dauernd Briefe mit persönlichen Problemen, bis ihn anscheinend der Schmerz wahnsinnig macht und er sich einbildet, J. Christus zu sein. Erinnern Sie sich? Vielleicht haben Sie es vor langer Zeit gelesen.«
    »Nein«, sagte Robert.
    »Es vermittelt einem einen seltsamen Einblick in das Leid«, sagte Paul. »Eine höchst originelle Einsicht in die Bedeutung des grundlosen Schmerzes, ein Problem, mit dem sich alle Religionen auseinandersetzen müssen. Religionen, wie die christliche, erklären oft, daß es Sünde sein muß, Leid erklären zu wollen. N. West scheint eine zwingendere Ansicht dazu hinzuzufügen. N. West meinte, er würde vielleicht deshalb ohne Grund leiden, weil er Jude war.«
    »Wenn Deutschland und Japan den Krieg verloren hätten, würden heute die Juden die Welt beherrschen«, sagte Robert. »Durch Moskau und die Wall Street.«
    Die beiden Japaner, Mann und Frau, schienen zusammenzuzucken, sie schienen zu erblassen, kalt zu werden, sich in sich selbst zurückzuziehen. Der Raum selbst wurde kalt. Robert Childan kam sich allein vor. Er aß ganz alleine, hatte keine Gesellschaft mehr. Was hatte er jetzt getan? Was hatten sie mißverstanden? Waren sie nicht fähig, die fremde Sprache, das fremde Denken zu begreifen? Zogen sie sich deshalb zurück? Was für eine Tragödie, dachte er und aß weiter. Und doch – das ließe sich machen.
    Die ehemalige Klarheit – die noch vor einem Augenblick geherrscht hatte – mußte jetzt herhalten. Er hatte bis zum Augenblick noch nicht ganz begriffen. Robert Childan fühlte sich nicht mehr ganz so schlecht wie vorher, weil der sinnlose Traum angefangen hatte, sich aufzulösen. Ich bin mit solcher Erwartung hier erschienen, erinnerte er sich. Wie ein Jüngling zu seinem ersten Rendezvous bin ich die Treppe heraufgestiegen. Aber man kann die Realität nicht einfach ignorieren; wir müssen erwachsen werden.
    Und so stehen die Dinge nun einfach. Diese Leute sind gar keine richtigen Menschen, dachte er…
    Sie kleiden sich wie Menschen, aber in Wirklichkeit sind sie wie Affen in einem Zirkus. Sie sind klug und können lernen, aber das ist alles . Warum erniedrige ich mich dann vor ihnen? Bloß, weil sie den Krieg gewonnen haben? Das ist ein großer Fehler in meinem Charakter, den dieses Zusammentreffen an die Oberfläche gebracht hat. Aber so ist

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