Das Orakel vom Berge
Kondolenzbotschaften gelesen?«
»Gibt es noch mehr?«
»Ein paar. Ich behalte sie noch bei mir, falls Sie sie sehen wollen. Ich habe schon alle beantwortet.«
»Ich muß heute nachmittag eine Rede halten«, sagte Reiss. »Um eins. Diese Geschäftsleute.«
»Ich werde Sie daran erinnern«, versprach Pferdehuf.
Reiss lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wollen Sie wetten?«
»Nicht über die Überlegungen der Partei. Falls Sie das meinen.«
»Der Henker wird es werden.«
Pferdehuf dachte nach. »Heydrich kann nicht weiterkommen. Diese Leute werden nie die direkte Kontrolle über die Partei bekommen, weil alle Angst vor ihnen haben. Die Parteibonzen würden schon bei dem Gedanken einen Anfall bekommen. In fünfundzwanzig Minuten wäre die Koalition fertig, sobald der erste SS-Wagen von der Prinz-Albrecht-Straße startete. Und diese Wirtschaftsführer wie Krupp und Thyssen…«, er verstummte. Einer der Codespezialisten war hereingekommen und reichte ihm einen Umschlag.
Reiss streckte die Hand aus. Sein Referent reichte ihm den Umschlag.
Es war das dringende Telegramm, entziffert und in Maschinenschrift. Als er gelesen hatte, sah er, daß Pferdehuf wartete.
Reiss zerknüllte das Blatt, legte es in den großen keramischen Aschenbecher auf seinem Schreibtisch und zündete es mit seinem Feuerzeug an.
»Es heißt, daß ein japanischer General inkognito hier erscheinen soll. Tedeki. Sie gehen am besten in die Bibliothek und besorgen sich eines dieser japanischen Militärmagazine. Da ist bestimmt sein Bild drin. Sie müssen das natürlich diskret machen. Ich glaube nicht, daß wir hier etwas über ihn haben.« Er starrte auf den abgeschlossenen Ablageschrank und überlegte es sich dann anders. »Beschaffen Sie Informationen, Statistiken. In der Bibliothek sollten Sie die alle finden können.« Und dann fügte er hinzu: »Dieser General Tedeki war vor ein paar Jahren Stabschef. Können Sie sich an irgend etwas erinnern?«
»Nur eine Kleinigkeit«, sagte Pferdehuf. »Ein ziemlicher Feuerfresser. Muß jetzt um die achtzig sein. Soweit ich mich erinnere, befürwortete er ein Blitzprogramm, um Japan ebenfalls Zugang zum Weltraum zu verschaffen.«
»Das ist aber mißlungen«, sagte Reiss.
»Würde mich nicht wundern, wenn er aus medizinischen Gründen hierher käme«, sagte Pferdehuf. »Es waren schon eine ganze Anzahl alter japanischer Militärs hier und haben sich in dem großen U. C. Hospital behandeln lassen. Auf die Weise können sie sich Zugang zu deutschen chirurgischen Techniken verschaffen, die ihnen zuhause nicht zur Verfügung stehen. Die reden natürlich nicht offen darüber. Patriotische Gründe, wissen Sie. Wir sollten vielleicht jemand ins U. C. Krankenhaus schicken, um aufzupassen, falls Berlin ihn im Auge behalten möchte.«
Reiss nickte. Vielleicht war der alte General auch in irgendwelche Spekulationen verwickelt, davon spielte sich eine ganze Menge in San Francisco ab. Verbindungen, die er während seiner Militärdienstzeit hergestellt hatte, würden ihm jetzt im Ruhestand nützlich sein. War er eigentlich im Ruhestand? In dem Telegramm stand General, nicht General im Ruhestand . »Jedenfalls beschaffen Sie die Bilder und geben sie den Leuten am Flughafen und drunten im Hafen. Er muß bereits da sein. Sie wissen ja, wie lange es dauert, bis wir so etwas erfahren.« Und Berlin würde natürlich wütend sein, dachte er. Schließlich hätte das Konsulat ihn ja auch auf eigene Faust ausfindig machen können – ehe der Befehl von Berlin auch nur abgeschickt war.
»Ich werde das Codetelegramm mit einem Eingangsstempel versehen lassen«, sagte Pferdehuf. »Wenn sich dann später Fragen ergeben, können wir wenigstens nachweisen, wann es hier eingegangen ist. Genau auf die Stunde.«
»Danke«, sagte Reiss. Die Leute in Berlin waren wahre Meister in der Kunst, Verantwortung zu übertragen, und er mochte es nicht gerne, wenn er in der Klemme saß. »Bloß um sicherzugehen«, meinte er dann, »ich glaube, Sie sollten die Nachricht bestätigen. Schreiben Sie ›Anweisungen viel zu spät erhalten. Person bereits hier eingetroffen. In diesem Stadium Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Aktion sehr gering‹. Irgend so etwas Ähnliches. Halten Sie es möglichst vage. Sie verstehen schon.«
Er setzte sich wieder an seinen Frühstückstisch, zündete eine ägyptische Simon-Arzt-Zigarette an und verschloß das Etui wieder sorgfältig.
Jetzt würde er wohl eine Weile nicht unterbrochen werden. Er holte
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