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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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hatte nicht Zeit, den Bericht gründlich zu lesen, und außerdem war er ohnehin etwas verwirrt, wußte nicht mehr genau, was an jenem Tage wirklich geschehen war. Aber er wußte, daß der Mann unter falschen Voraussetzungen aufgetreten war und daß irgendein Schwindel damit verbunden war. Und – wie der Kempetaimann gesagt hatte – der Mann war Jude. Robert Childan sah auf den Text unter dem Foto des Mannes. Frank Frink. Geboren als Frank Fink. Ja, das war zweifellos ein Jude. Was sollte er bei einem Namen wie Fink auch anderes sein. Und er hatte ihn geändert.
    Childan unterschrieb.
    »Danke«, sagte der Polizist. Er steckte die Papiere ein, tippte an den Hut, wünschte Childan eine gute Nacht und ging. Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen.
    Gut, daß wir in einer Gesellschaft leben, wo Gesetz und Ordnung herrschen, wo Juden die Unschuldigen nicht einfach hereinlegen können. Wir werden beschützt.
    Ich weiß nicht, warum ich es nicht gleich gemerkt habe. Offenbar bin ich leicht zu täuschen. Ich bin einfach nicht dazu imstande, andere Menschen zu täuschen, entschied er, und das macht mich hilflos. Wenn es das Gesetz nicht gäbe, wäre ich denen ausgeliefert. Er hätte mich von allem Möglichen überzeugen können. Das ist eine Art Hypnose. Die können eine ganze Gesellschaft unter Kontrolle halten.
    Er dachte, vielleicht kann man aus dem Buch entnehmen, welches Glück wir haben. Trotz der offensichtlichen Nachteile… Es könnte ja schließlich viel schlimmer um uns stehen. Dieses Buch ist eine große moralische Lektion. Ja, die Japse haben hier die Macht, und wir sind eine besiegte Nation. Aber wir müssen in die Zukunft blicken; wir müssen bauen. Und daraus entwickeln sich große Dinge, so, wie zum Beispiel die Kolonisierung der Planeten.
    Jetzt müßten eigentlich Nachrichten sein, wurde ihm klar. Er setzte sich und schaltete das Radio ein. Vielleicht ist der neue Reichskanzler schon ausgewählt worden. Er fühlte die Erregung in sich aufsteigen. Mir scheint dieser Seyss-Inquart der dynamischste zu sein. Er hat die beste Chance, kühne Programme durchzuführen.
    Ich wünschte, ich wäre dort, dachte er. Vielleicht geht es mir einmal so gut, daß ich nach Europa reisen und alles sehen kann, das dort geschaffen worden ist. Jammerschade, das nicht zu erleben. Hier an der Westküste zu sitzen, wo nichts passiert. Die Geschichte übergeht uns einfach.
    Morgen muß ich mir dieses Buch kaufen, diese Heuschrecke . Es wird interessant sein, wie der Autor eine Welt schildert, die von Juden und Kommunisten angeführt wird, in der das Reich in Ruinen liegt und in der Japan zweifellos eine Provinz Rußlands ist; in der Rußland wahrscheinlich vom Atlantik bis zum Pazifik reicht. Ob er – wie hieß er doch gleich – einen Krieg zwischen Rußland und den USA schildert? Ein interessantes Buch, dachte er. Komisch, daß früher keiner daran gedacht hatte, es zu schreiben.

8
     
     
    Um acht Uhr morgens stieg Freiherr Hugo Reiss, der Reichskonsul in San Francisco, aus seinem Mercedes Benz 220 E und ging mit schnellem Schritt die Stufen zum Konsulatsgebäude hinauf. Hinter ihm her kamen zwei junge Angestellte des Außenamtes. Reiss’ Personal hatte die Tür bereits aufgesperrt, und er ging hinein, winkte den beiden Mädchen in der Telefonzentrale grüßend zu, begrüßte den Vizekonsul, Herrn Frank, und dann in seinem Vorzimmer seinen persönlichen Referenten, Herrn Pferdehuf.
    »Freiherr«, meldete Pferdehuf, »es kommt gerade ein Codetelegramm aus Berlin. Text eins.«
    Das bedeutete, daß die Nachricht dringend war.
    »Danke«, sagte Reiss, schlüpfte aus seinem Mantel und reichte ihn Pferdehuf, damit er ihn aufhängte.
    »Vor zehn Minuten hat Herr Kreuz vom Meere angerufen. Er möchte, daß Sie zurückrufen.«
    »Danke«, nickte Reiss und nahm an dem kleinen Tischchen am Fenster Platz, hob den Deckel von seinem Frühstück, sah das Brötchen auf dem Teller, die Rühreier, Wurst, goß sich heißen schwarzen Kaffee aus der Silberkanne ein und schlug die Morgenzeitung auf.
    Der Anrufer, Kreuz vom Meere, war der Chef des Sicherheitsdienstes in den PSA; sein Büro war unter einer Deckadresse im Flughafen untergebracht. Die Beziehungen zwischen Reiss und Kreuz vom Meere waren etwas angespannt. Ihre Zuständigkeiten überschnitten sich in zahllosen Angelegenheiten, was zweifellos die Absicht ihrer Vorgesetzten in Berlin war. Reiss war Ehrenmitglied der SS im Range eines Majors, womit er rein theoretisch

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