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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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Joe. Er wirkte so leicht, ganz anders als damals, als sie ihn kennengelernt hatte. Und seine Arme umfingen sie, hoben sie hoch, schwenkten sie im Kreise herum, und seine Augen sahen sie an, und sein warmer Atem hauchte sie an. Und seine Arme preßten sie, bis sie einen leisen Schrei ausstieß.
    »Nein«, sagte sie. »Ich bin nur – ich kann mich nicht so schnell umstellen.« Ich habe immer noch etwas Angst vor dir, dachte sie. Solche Angst, daß ich es dir nicht einmal sagen kann.
    »Zum Fenster hinaus«, rief Joe und trug sie durchs Zimmer. »Los geht’s.«
    »Bitte«, sagte sie.
    »Ich mach doch nur Spaß. Hör zu – wir werden marschieren, so etwas wie der Marsch auf Rom. Erinnerst du dich? Der Duce hat sie angeführt, meinen Onkel Carlo zum Beispiel. Und jetzt machen wir unseren Marsch, und er wird nicht in den Geschichtsbüchern stehen, stimmt’s?« Er küßte sie auf den Mund, so hart, daß ihre Zähne aufeinanderstießen. »Wir werden gut aussehen, wir beide in unseren neuen Kleidern. Und du kannst mir erklären, wie ich reden muß, wie ich mich verhalten muß; stimmt’s? Mir Manieren beibringen. Stimmt’s?«
    »Du sprichst richtig«, sagte Juliana. »Sogar besser als ich.«
    »Nein.« Plötzlich wurde er wieder ernst. »Ich spreche sehr schlecht. Ich habe einen richtigen Itakerakzent. Hast du das nicht bemerkt, als wir uns im Cafe kennenlernten?«
    »Ich denke schon«, sagte sie; ihr schien das jetzt nicht wichtig.
    »Nur eine Frau kennt die gesellschaftlichen Konventionen«, sagte Joe und trug sie zurück und ließ sie plumpsend auf das Bett fallen. »Ohne Frauen würden wir ewig über Rennwagen und Pferde reden und schmutzige Witze erzählen. Es gäbe keine Zivilisation.«
    »Ist das dein Lohn?« fragte sie ihn, während er sich anzog. »Hast du das gespart?« Es war so viel. Aber im Osten gab es natürlich auch eine Menge Geld. »All die anderen Fernfahrer, mit denen ich gesprochen habe, hatten nie so viel…«
    »Du sagst, ich sei Fernfahrer?« unterbrach sie Joe. »Hör zu, ich bin in dieser Kiste nicht als Fahrer mitgefahren, sondern um Räuber abzuhalten. Und wenn man in der Kabine sitzt und döst, sieht man wie ein Fernfahrer aus.« Er ließ sich in einen Sessel fallen und lehnte sich zurück, tat so, als schliefe er, mit offenem Mund, schlaff. »Siehst du?«
    Zuerst sah sie es nicht. Und dann erkannte sie, daß er ein Messer in der Hand hielt, dünn wie ein Kartoffelschäler, Herrgott, dachte sie. Wo kam das jetzt her? Aus dem Ärmel oder einfach aus der Luft?
    »Dazu haben mich die Volkswagenleute eingestellt. Wegen meiner Erfahrung beim Militär. Wir haben uns gegen Haseiden geschützt, gegen diese Kommandos; er hat sie angeführt.« Seine schwarzen Augen leuchteten; er grinste Juliana an. »Wer meinst du denn, hat den Oberst dann am Ende erwischt? Als wir sie am Nil faßten – ihn und seine Wüstengruppe, Monate nach dem Kairofeldzug. Eines Nachts haben sie uns angegriffen, um sich Benzin zu holen. Ich hatte Wachdienst. Haseiden schlich sich an, das Gesicht schwarz verschmiert, selbst die Hände; sie hatten damals keinen Draht, nur Handgranaten und Maschinenpistolen. Alles zu laut. Er versuchte, mir das Genick zu brechen. Aber ich hab ihn erwischt.« Joe sprang plötzlich auf und lachte. »Wir wollen packen. Sag den Leuten in der Judoschule, daß du ein paar Tage Urlaub nimmst; ruf sie an.«
    Was er sagte, überzeugte sie nicht. Vielleicht war er gar nicht in Nordafrika gewesen, vielleicht hatte er überhaupt nicht am Krieg teilgenommen. Und was für Räuber? überlegte sie. Sie hatte noch nie gehört, daß die Lastzüge, die von der Ostküste kamen, bewaffnete ehemalige Berufssoldaten als Wächter mitnahmen. Vielleicht hatte er überhaupt nicht in den USA gelebt und das alles erfunden, bloß um ihr Interesse zu erwecken, romantisch zu erscheinen.
    Vielleicht ist er geistesgestört, dachte sie… Vielleicht muß ich jetzt das tun, was ich mir so oft in Gedanken zurechtgelegt habe: mein Judo einsetzen, um mich zu verteidigen, um meine – Unschuld – zu retten? Mein Leben, dachte sie. Wahrscheinlich ist er bloß ein armer Itaker, der in seiner Scheinwelt lebt, der auf eine Sauftour ziehen und sein ganzes Geld auf den Kopf hauen, einmal groß leben und dann wieder in seine monotone Existenz zurückfallen will. Dazu braucht er ein Mädchen.
    »Okay«, sagte sie. »Ich rufe in der Turnhalle an.« Als sie in den Korridor ging, dachte sie, er wird mir teure Kleider kaufen und dann mit mir in

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