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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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über mein primitives Geschenk enttäuscht«, sagte Childan. »Ich habe sie vielleicht beleidigt. Aber bei etwas Neuem, noch nicht Erprobtem, kann man kein endgültiges Urteil fällen, das habe ich Ihnen ja erklärt, als ich Ihnen das Geschenk zukommen ließ – wenigstens kann jemand, der nur geschäftlich damit zu tun hat, das nicht. Sie und Betty sind da in einer viel besseren Lage als ich.«
    »Sie war nicht enttäuscht, Robert«, sagte Paul. »Ich habe ihr das Schmuckstück nicht gegeben.« Er griff in seine Schreibtischlade und holte die kleine weiße Schachtel heraus. »Es hat dieses Büro noch nicht verlassen.«
    Er weiß es, dachte Childan. Ein kluger Mann. Hoffentlich fängt er jetzt nicht an, mich zu beschimpfen. Hoffentlich wirft er mir nicht vor, daß ich seine Frau verführen möchte.
    Er könnte mich ruinieren, sagte Childan zu sich. Er schlürfte vorsichtig an seinem Tee, bemüht, keinen Ausdruck zu zeigen.
    »Oh?« sagte er mit milder Stimme. »Interessant.«
    Paul öffnete die Box, holte die Nadel heraus und begann, sie zu untersuchen. Er hielt sie ans Licht, drehte sie zwischen den Fingern.
    »Ich habe mir erlaubt, das hier einer Anzahl meiner Geschäftsfreunde zu zeigen«, sagte Paul, »Leuten, die meinen Geschmack hinsichtlich amerikanischer historischer Gegenstände teilen.« Er sah Robert Childan an. »Natürlich hatte keiner von ihnen bisher je so etwas gesehen. Sie hatten mir ja auch erklärt, daß es bis jetzt keine zeitgenössische Kunst dieser Art gegeben hat. Ich glaube, Sie sagten mir auch, Sie hätten die Alleinvertretung.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Childan.
    »Wollen Sie ihre Reaktion hören?«
    Childan verbeugte sich.
    »Diese Personen haben gelacht«, sagte Paul.
    Childan war stumm.
    »Und ich habe innerlich auch gelacht«, sagte Paul, »als Sie mir damals dieses Ding zeigten. Ich habe mir das natürlich nicht anmerken lassen, aber Sie erinnern sich zweifellos, daß ich mich ziemlich uninteressiert gab.«
    Childan nickte.
    Und Paul fuhr fort: »Man kann diese Reaktion auch leicht verstehen. Hier ist ein Stück Metall, das so lange erhitzt wurde, bis es seine Form verlor. Es repräsentiert nichts. Es hat auch keine gewollte Form. Es ist einfach amorph. Man könnte sagen, es ist Inhalt ohne Form.«
    Childan nickte.
    »Und dennoch«, fuhr Paul fort, »habe ich es jetzt einige Tage betrachtet und empfinde ohne einen logischen Grund eine gewisse emotionale Zuneigung dazu. Warum ist das so? Ich sehe immer noch keine Form und keine Gestalt. Aber irgendwie ist es ein Teil von Tao. Sehen Sie?« Er winkte Childan zu sich heran. »Es ist ausgewogen. Die Kräfte in diesem Stück sind stabil. Im Ruhezustand. Es hat sozusagen seinen Frieden mit dem Universum gemacht. Es hat sich von ihm getrennt und hat damit das Gleichgewicht mit sich selbst gefunden.«
    Childan nickte nur.
    »Es hat kein Wabe «, sagte Paul, »kann es auch nie haben. Aber…«, er tippte die Nadel an. »Robert, dieser Gegenstand hat W u .«
    »Sie haben wahrscheinlich recht«, sagte Childan und versuchte sich zu erinnern, was Wu war. Das war kein japanisches Wort – das war chinesisch. Weisheit, entschied er, oder Verstehen. Jedenfalls etwas sehr Gutes.
    »Keinen historischen, keinen künstlerischen, keinen ästhetischen Wert zu haben und doch den Teil eines ästhetischen Wertes zu besitzen, das ist ein Wunder. Gerade weil das ein armseliger kleiner, wertlos aussehender Klumpen Metall ist, Robert, hat es Wu . Man empfindet Wu auch in altem Gerumpel, wie, zum Beispiel, einer rostigen Bierdose neben der Straße. Aber in diesen Fällen liegt das Wu im Betrachter. Es ist eine religiöse Empfindung. Hier hat ein Handwerker – denn Künstler will ich ihn nicht nennen – das Wu in den Gegenstand verlegt, statt nur das Wu, das ihm innewohnt, zu empfinden.« Er blickte auf. »Drücke ich mich klar aus?«
    »Ja«, sagte Childan.
    »Mit anderen Worten, dies weist in eine völlig neue Welt. Man kann es auch nicht als Kunst bezeichnen, weil es keine Form besitzt, keine Religion. Was ist es also? Ich habe unablässig über diese Nadel nachgedacht und kann es doch nicht ergründen. Für einen Gegenstand wie diesen gibt es offenbar kein Wort in unserer Sprache. Sie haben also recht, Robert. Es ist im ganz authentischen Sinne ein neues Ding auf dem Angesicht der Welt.«
    Authentisch, dachte Childan. Ja, das ist es ganz gewiß. Das kann ich nachempfinden. Aber sonst…
    »Und nachdem ich diese Überlegungen angestellt hatte«, fuhr Paul

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