Das Orakel von Antara
mussten. Auf Zehenspitzen schlich Yorn durch den Saal. Die weichen, bis zu den Knien geschnürten Sandalen der moradonischen Uniform dämpften seinen Schritt zur Unhörbarkeit.
Wieder musste Yorn grinsen, wenn er an das Bild dachte, das er abgeben musste: ein moradonischer Offizier, mit nackter Brust und blutbespritzt, stahl sich wie ein Dieb durch einen Sklavenschlafsaal, um nur keinen der Schlafenden aus der wohlverdienten Ruhe zu wecken! Selbst wenn jetzt einer der Antaren aufwachte, würde er wohl aus Verblüffung über diesen seltsamen Anblick das Lärmschlagen vergessen.
Dann stand Yorn wieder draußen auf einem Gang. In vollem Lauf stürmte er den Weg entlang, der ihn in die Kellergewölbe führte. Er hastete die Treppe hinab, an den Unterkünften der Küchensklaven vorbei. Da ging eine Tür auf, und zwei antarische Mädchen kamen mit einem großen Korb zwischen sich heraus. Als sie den auf sie zustürmenden Mann sahen, blutbesudelt und mit gezücktem Schwert, kreischten sie gellend auf, warfen den Korb fort und rannten schreiend den Gang entlang vor Yorn davon. Yorn musste ihnen notgedrungen folgen, denn sie liefen ausgerechnet in die Richtung, in der auch der unter der Palastmauer durchführende Gang lag. Eines der Mädchen sah sich um und sah, dass Yorn schon nahe hinter ihnen war. Die Todesangst ließ ihre Knie versagen, denn sie musste ja annehmen, dass Yorn sie verfolge, um sie zu töten. Zitternd fiel sie nieder und streckte ihm flehend die Hände entgegen. Das andere Mädchen stürzte in einen Seitengang.
Doch Yorn hatte keine Zeit, sich um die verängstigte Sklavin zu kümmern oder ihr auch nur beruhigende Worte zuzurufen, denn schon stürzten die beiden Soldaten heran, die den unterirdischen Gang zu bewachen hatten. Als sie Yorn sahen, stutzten sie. Sie konnten sich sein Erscheinen nicht erklären. Ein moradonischer Offizier, der halbnackt und mit blutigem Schwert Antarinnen jagte, war wohl kein alltäglicher Anblick, obwohl das ja vorkommen mochte.
Aber Yorn ließ ihnen keine Zeit für Überlegungen. In unvermindertem Lauf schoss er auf die beiden Männer zu. Ehe sie wussten, wie ihnen geschah, fuhr dem einen schon Yorns Klinge durch den Leib. Mit fassungslosem Blick sank er zu Boden.
Der andere verstand zwar noch immer nicht, aber er sah seinen Kameraden sterben und reagierte mit dem In stinkt des Kämpfers. Ehe Yorn noch seine Waffe zurückgezogen hatte, griff der Moradone ihn an. Yorn versuchte noch, dem Hieb auszuweichen, doch die Spitze der Klinge traf seinen linken Oberarm. Ein heftiger Schmerz zuckte durch den ganzen Arm, und Yorn fühlte, wie das Blut in breiter Bahn zu rinnen begann. Er stieß einen Fluch aus und warf sich dem Soldaten mit einem Ungestüm entgegen, das diesen zurückweichen ließ. Mit wuchtigen Schlägen trieb er den Moradonen rückwärts, bis der Mann mit dem Rücken gegen eine Wand stieß. Ein gewaltiger Hieb traf den Schwertarm des Gegners, und die abgetrennte Hand fiel mitsamt der Klinge zu Boden. Yorns nächster Schlag traf den Hals und setzte dem Leben des Feindes ein Ende.
Schwer atmend riss Yorn einen herunterhängenden Fetzen seiner Tunika ab und band ihn über seine blutende Wunde. Kaum war die Blutung ein wenig gestoppt, setzte er seine Flucht fort.
Gerade war er verschwunden, als überall aus den Türen und Gängen Antaren kamen, die sich während des Kampfes ängstlich versteckt gehalten hatten. Zögernd, aber voll neugieriger Genugtuung näherten sie sich den Toten.
„Das ist ein Zeichen Saadhs!“ sagte ein alter Antare feierlich. „Die Freiheit unseres Volkes und die Erlösung aus der Fron steht bevor. Wenn sich die Moradonen schon gegenseitig umbringen, muss das Ende ihrer Herrschaft wirklich bevorstehen. Wir sollten uns für den Tag wappnen.“
Doch da erklangen die Marschschritte von Soldaten, die der Lärm auf den Plan gerufen hatte. Wie sie gekommen waren, verschwanden plötzlich alle Antaren. Die Soldaten fanden nur noch die beiden Erschlagenen. Yorn war inzwischen an dem aufgebrochenen Tor angelangt.
Doch zu seinem Entsetzen sah er, dass der Flügel wieder eingesetzt und mit zwei starken Balken verbarrikadiert war, die man überkreuz gegen Boden und Decke verkeilt hatte. Nicht einmal Kandons gewaltige Kraft hätte ausgereicht, um diese Barriere zu durchbrechen. Und er konnte sogar nur einen Arm gebrauchen, denn der linke war inzwischen taub und gefühllos geworden.
Yorn saß wie eine Ratte in der Falle! Zurück konnte er
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