Das Orakel von Antara
Posten jedoch schon von einem eintretenden großen Antaren energisch zur Seite geschoben. Dann gab der Mann die Tür frei und machte zwei weiteren Antaren Platz, die eine Tragbahre hereinbrachten, auf der eine in Decken gehüllte Gestalt lag. Hinter den Männern folgte ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen. Als die Träger die Bahre niederstellten, sah Yorn das Gesicht des darauf Liegenden.
„Reven!“ schrie er, außer sich vor Freude und stürzte neben der Bahre aufs Knie. Doch dann sah er, dass Revens Augen geschlossen waren und sein Gesicht bleich und eingefallen. „Bei Saadh! Was ist mit ihm?“ fragte er voll Angst und griff nach der kalten Hand Revens.
Auch Vanea und Schorangar knieten nun neben der Bahre.
„Sei unbesorgt, er ist nur bewusstlos“, sagte der große Mann. „Er ist verwundet, aber der Arzt meint, dass er bald wieder zu sich kommen wird.“
„Reven, Reven!“ murmelte Yorn und preßte die Hand des Bruders an sein Herz. „Nur die Götter können ermessen, welche Qualen ich litt, seit ich dich in den Händen der Feinde zurücklassen musste. Und nie im Leben werde ich vergessen, was ich fühlte, als jedes Lebenszeichen von dir erloschen schien.“
Er beugte sich über den Bruder und legte seinen Kopf sanft auf die Brust des Verwundeten. Eine Weile verharrte er so. Keiner der Umstehenden sagte ein Wort, um Yorn in diesem Augenblick nicht zu stören. Dann stand Yorn auf und heftete seinen Blick auf das Mädchen.
„Du bist Prinzessin Sabrete, nicht wahr?“ fragte er mit warmem Lächeln.
Sabrete nickte beklommen. Man sah, dass in ihren Augen Angst aufstieg, doch dann fing sie sich schnell. Sie warf stolz den Kopf hoch und antwortete:
„Ja, ich bin Sabrete! Und ich komme, um mich in die Hände der Antaren zu liefern, damit endlich Frieden zwischen ihnen und meinem Volk herrschen kann. Bietet mich meinem Vater zum Tausch an gegen die Freiheit der Antaren. Vielleicht ist ihm mein Leben doch noch etwas wert, obwohl ich ihn verriet, als ich diesen Mann hier befreite. Erweise ich mich jedoch als wertloses Pfand, tut mit mir, was ihr wollt!“
Yorn beugte vor ihr das Knie, nahm ihre Hand und küsste sie. Sein Gesicht war ernst, als er sich wieder erhob und sagte:
„ Ich schwöre bei Saadh, dass niemand hier daran denkt, dir ein Leid zu tun - im Gegenteil! Für deine mutige Tat und deine Opferbereitschaft sollst du hoch geehrt sein in unserem Volk. Doch wir können dein edelmütiges Angebot nicht annehmen, denn wir wüssten nicht, wem wir dich zum Tausch anbieten sollten. Es tut mir Leid für dich, Sabrete, aber dein Vater verlor sein Leben durch die Klauen des Wächters im Turm. Mit dem Verlöschen des glühenden Herzens verschwand die Zauberkraft deines Vaters und somit auch die Macht über jenen Unglücklichen, der sich an ihm für die ausgestandenen Qualen rächte.
Du wirst verstehen, dass wir das Ende Xeros nicht bedauern können, da er die Geißel unseres Volkes war und den Tod tausendfach verdient hatte. Doch für dich empfinden wir Mitleid, denn er war nun einmal dein Vater.“
Sabrete war bei dieser Nachricht bleich geworden. Der Tod des Vaters berührte sie nicht sehr, da sie ihn nie geliebt, ja, eher verabscheut hatte. Im Grunde ihres Herzens gestand sie sich sogar ein, dass er nur für all seine Untaten die Strafe erhalten hatte.
Aber jetzt, wo er tot war, würde einer der beiden Männer, die sie ab grundtief hasste, die Macht an sich reißen: Vereios oder Pelegar. Beide hatten sie zum Weib begehrt, aber der Vater hatte sich nicht entscheiden mögen, da er keinem von beiden völlig traute. Nun überfiel Sabrete die Angst, dass einer der beiden als Sieger aus dem nun unweigerlich folgenden Machtkampf hervorgehen würde und die Antaren sie diesem zum Tausch anbieten würden. Sie war fast gewiss, dass sowohl der eine wie der andere auf den Handel eingehen würde. Mit ihr als Gattin wäre der Herrschaftsanspruch über Moradon gesichert.
Doch Sabrete war ebenfalls jetzt schon klar, dass sich keiner der beiden an die Abmachung mit den Antaren halten würde, wenn sie erst einmal in seinen Händen war. Man würde sofort aufbrechen, um die wertvollen Sklaven wieder einzufangen.
Doch konnte sie das alles den Antaren sagen? Wenn sie es tat, brachte sie diesen Mann da, diesen Yorn, vielleicht erneut auf die Idee mit dem Tausch, die er jetzt gerade abgetan hatte. Vielleicht würde ihr der Antarenführer nicht glauben, wenn sie ihn vor Verrat war
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