Das Orakel von Antara
der immer noch bewusstlos war. Zum Glück befand sich unter den Männern im Versteck ein Heilkundiger, der auch schon zuvor Yorns Wunde versorgt hatte. Nachdem er Reven gründlich untersucht hatte, sagte er zu Yorn:
„Es steht nicht schlimm um ihn, Saadh sei Dank! Seine Wunden sind nicht gefährlich und werden bald heilen. Dass er so lange ohne Besinnung ist liegt daran, dass er sehr viel Blut verloren hat. Die Flucht hat ihn dann die letzten Kraftreserven gekostet. Doch sein Körper ist stark und gesund und wird das Fehlende bald ersetzt haben. Der Arzt, der ihm zuerst half, hatte Recht. Reven wird bald wieder zu sich kommen.“
Nun, wo Sabrete wusste, dass Reven sie nicht belogen hatte, wurde ihr mit heißem Glücksgefühl bewusst, was das bedeutete. Wenn er sie also nicht nur als Mittel zum Zweck benutzt hatte, bedeutete das wohl, dass er sie wirklich liebte. Überwältigt von dieser Erkenntnis kniete sie neben seinem Lager nieder. Als habe sie die Menschen um sich herum völlig vergessen, legte sie die Arme um ihn und küsste zart seine geschlossenen Augenlider und seine bleichen Lippen.
Verwundert schauten alle auf diese für sie unverständliche Szene, und Yorn öffnete schon den Mund, um eine diesbezü gliche Frage zu stellen. Aber Nevian legte die Hand auf seinen Arm.
„Lass‘ sie!“ flüsterte er. „Warum, glaubst du, ging sie so bereitwillig mit ihm? Sie liebt ihn!“
„Sie liebt ihn?“ fragte Yorn erstaunt. „Wie kann das? Sie kennt ihn doch kaum!“
„Kannte ich dich, als ich mich in dich verliebte?“ fragte Vanea lächelnd.
Yorn zog sie schmunzelnd in die Arme. „Na ja, das ist wohl etwas ganz anderes!“ sagte er augenzwinkernd. „Mich muss man ja auch ganz einfach lieben!“
„Angeber!“ schimpfte Vanea lachend. „Das lag nur am Nebel. Ich konnte dich nicht richtig sehen. Und später war es dann eben schon passiert.“
Trotz der sich zuspitzenden Lage war Yorn erleichtert. Reven war in Sicherheit und würde wohl auch bald wieder auf den Beinen sein. Yorn wusste, dass der Bruder eine kräftige Natur hatte, die ihn die erlittenen Verletzungen bald überstehen lassen würde.
Nun, da ihn die Sorge um Reven nicht mehr bedrückte, wandte sich seine volle Aufmer ksamkeit wieder den kommenden Ereignissen zu. Ruhig und entschlossen erteilte er seine Anweisungen, die für das weitere Vorgehen der Sklaven in der Stadt nötig waren, während er das Heer der Antaren zur entscheidenden Schlacht führte. Schorangar sollte auch weiterhin die Leitung des inneren Widerstands übernehmen, da der alte Kämpe die Fäden der Revolte am besten in der Hand hatte.
Als er jedoch Vanea dem Schutz der Freunde im geheimen Versteck anvertrauen wollte, stieß er bei ihr auf heftigsten Wide rstand.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ entrüstete sie sich. „Keine Minute lasse ich dich wieder aus den Augen! Ich habe genug Angst ausgestanden bei deinem letzten Alleingang. Aber jetzt bleibe ich an deiner Seite, egal, wo du hingehst. Und wenn du mich nicht mitnimmst, werde ich dir folgen, selbst auf die Gefahr hin, irgendwo in die Hände der Moradonen zu fallen. Du müsstest mich schon einsperren, um das zu verhindern, aber sei sicher, dass ich auch dann noch einen Weg finden werde, dir nachzukommen.“
„Nun, ich dachte, du würdest dich ein wenig um Reven kümmern, während ich fort bin“, wandte Yorn ein. „Wenn er zu sich kommt, würde ihm deine Nähe gut tun.“
Vanea lachte. „Glaubst du, er wird mich überhaupt sehen, wenn er wach wird? Die einzige, für die er Augen haben wird, sitzt dort an seinem Lager. Sabretes Nähe wird ihm wohl viel besser tun als meine. Nein, nein, gib dir keine Mühe, Yorn! Du wirst mich durch nichts von meinem Entschluss abbringen. Ich reite mit dir!“
Seufzend gab Yorn sich geschlagen. Er hätte lieber gesehen, wenn Vanea im Schutz der Freunde zurückgeblieben wäre. Der Weg zum Heer würde nicht ungefährlich sein, denn es war damit zu rechnen, dass sie bei der jetzigen Lage der Dinge patrouillierenden Moradonentrupps begegneten. Aber mittlerweile kannte Yorn Vaneas starken Willen. Er war fast sicher, dass es ihr wirklich gelingen würde, selbst der strengsten Bewachung zu entkommen. Wer wusste schon, ob ihre besonderen Fähigkeiten nicht wieder in vollem Umfang zurückkamen, wenn sie gezwungen wäre, sie anzuwenden? Wer aber konnte einen Nebel halten? Nein, da war es schon besser, sie war unter seiner Obhut, als
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