Das Orakel von Antara
Windeseile an Yorn und Reven vorbeizufliegen. Jeder Tag war ausgefüllt mit harter Arbeit, denn Nith gönnte den beiden kaum eine Pause. Oft stand er dabei und sah ihnen zu, wenn sie abseits des Dorfes ihre Waffen übten oder den Ausführungen eines der Ältesten lauschten. Und je mehr Zeit verstrich, desto größer schien seine Unruhe zu werden. Immer wieder spornte er Yorn an und sparte oft nicht mit harten Worten, wenn jugendlicher Übermut die beiden Brüder von ihren Pflichten ablenkte.
Yorn kam es schon bald so vor, als habe er nie irgendwo anders gelebt, und immer selt ener flogen seine Gedanken zu dem Haus am Fluss zurück, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Doch Revens Wurzeln waren dort, und trotz aller Abwechslung und der ständigen Anstrengung, die ihm viel Freude bereitete, sehnte er sich so manches Mal nach den stillen Tagen zurück. Es verlangte ihn oft danach, mit Yorn am Ufer des Flusses zu sitzen und die Sonne in seinen silbernen Fluten versinken zu sehen. Er vermisste die Weite der Landschaft und den würzigen Geruch der feuchten Erde, wenn sich die Scholle unter seinem Pflug gebrochen hatte.
Obwohl er Yorn in der Waffenkunst nur wenig nachstand, spürte man deutlich, dass er nicht zum Krieger geboren war. Wo Yorn spielend leicht aufnahm und mit wenig Übung rasch große Erfolge hatte, konnte es ihm Reven nur mit viel Anstrengung und harter Arbeit gleichtun. Doch er arbeitete mit der ihm eigenen, ruhigen Verbissenheit, wegen der ihn der Bruder so oft geneckt hatte, und lächelte dann still vor sich hin, wenn Yorn verblüfft seine Fortschritte sah.
Nith bewunderte die zähe Ausdauer Revens und nahm sich vor, diesen Einsatz zu belo hnen. So fragte er den jungen Mann eines Tages, ob er sich etwas wünsche, was zu erfüllen in seiner Macht stünde.
„Ich hätte schon eine Bitte, aber ich glaube nicht, dass ich das verlangen darf“, hatte Reven bescheiden geantwortet, aber in seinen Augen war freudige Hoffnung aufgeblitzt.
„Nun sag' schon!“ hatte Nith ihn ermuntert. „Dann werden wir ja sehen, ob es sich erfüllen läßt.“
„Wir sind jetzt schon so lange hier“, brach es da aus Reven heraus, „und die Eltern wissen nicht, ob wir noch leben oder ob wir unser Ziel erreicht haben. Wenn ich ihnen nur Nachricht geben könnte ...“
„Schon gut!“ unterbrach ihn Nith. „Du brauchst nicht weiter zu sprechen. Wenn die Männer in einigen Tagen von der Jagd zurückkommen, wird sich bestimmt einer von ihnen bereitfinden, dir diesen Dienst zu erweisen. Loran und Mara haben es verdient, über den Verbleib ihres Sohnes und des Jungen, den sie so sorgsam für uns alle gehütet haben, Nachricht zu erhalten. Ich glaube, dass jeder unserer Männer bereit ist, unsere Dankesschuld auf diese Weise ein wenig abzutragen.“
Und so war wenige Tage später einer der Niveder nach Osten aufgebrochen, um trotz der Gefahren einer solchen Reise die Sorge der Eltern zu beenden.
Yorn hatte in der ersten Zeit die strenge Ausbildung mehr als heiteres Spiel betrachtet, dessen neuer, ungewohnter Reiz ihn fesselte und ihm ein wildes Vergnügen bereitete. Je mehr Übung er jedoch gewann und je größer sein Selbstbewusstsein durch die neuerworbenen Fähigkeiten wurde, desto mehr sah er die Forderungen Niths als übertrieben an.
Schon nach etwa drei Jahren war er seinen Lehrmeistern in der Waffenführung überl egen, und nur im Ringkampf war er Kandons gewaltigen Kräften nicht gewachsen. Doch oft genug brachte er auch den gutmütigen Hünen durch seine Gewandtheit und Schnelligkeit in Bedrängnis. Ansonsten gab es bald keinen Mann des Stammes mehr, der Yorn übertraf. Als er jedoch einmal bei Nith darüber murrte, dass er immer noch die gleiche Zeit wie zu Anfang mit Kampfübungen verbringen musste, hatte Nith ihn streng zurechtgewiesen.
„Wann du dein Ziel erreicht hast, bestimme ich!“ hatte der Priester hart geantwortet. „Und so lange du den Wert dieser Übungen noch nicht einsiehst, bist du noch nicht reif für deine Aufgabe. Bedenke, dass eines Tages vielleicht nicht nur dein Leben von deinen Fähigkeiten abhängt. Übtest du nur für deine eigenen Belange, wäre es mir gleich, ob du dich für alles gewappnet fühlst. Dann läge das Risiko nur bei dir. Aber du weißt noch nicht, was dich auf dem dir bestimmten Weg erwartet, und daher solltest du keine Zeit versäumen, wenn du es bald erfahren willst.
Deine Einwände zeigen mir jedoch, dass du dich im Augenblick selbst
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