Das Orakel von Margyle
zu schickt die Böe einen die Küste hinunter. Er wird uns schneller zu den Vestanischen Inseln bringen. Ich hoffe nur, dass er uns nicht in die Richtung der Erzflotte drückt.”
Bevor Rath etwas sagen konnte, mischte Maura sich ein. “Sagtet Ihr nicht, die Han segelten schneller mit dem Wind im Rücken? Der Sturm sollte sie also vor uns davontreiben.”
“Aye, Mädchen!” Gull gab ihr einen herzhaften Klaps auf den Rücken. “Dann habt Ihr also behalten, was ich gesagt habe. Aus Euch werden wir noch einen Seefahrer machen.”
Maura schüttelte den Kopf und kaute heftig auf dem Seegras. “Das glaube ich eher nicht.”
Gerade als der Abend hereinbrach, kam der Sturm. Rath nahm Maura nach unten, wo sie sich unglücklich und elend auf einem schmalen Brett zusammenkauerten, das sich im Innern des Schiffsrumpfes herunterklappen ließ. Die Zeit kroch dahin, es schien, als würde es nie mehr Tag werden, als wären sie für immer in den Eingeweiden des hin und her schleudernden Schiffes gefangen, halb taub vom Heulen des Windes und dem Klatschen der Wellen. Bei jedem Ansturm des Meeres erzitterte der Rumpf der Phantom. Bald wusste Rath nicht mehr, wie oft sie sich schon im Rachen des Todes befunden hatten, nur um doch wieder herauszurutschen, bevor die scharfen Zähne zubeißen konnten. Jedes Mal schlug ihm das Herz bis zum Hals, sein Magen drehte sich um und seine Stirn überzog eine dünne Schweißschicht.
Die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit und Nutzlosigkeit lag wie eine schwere Last auf ihm und erdrückte seinen Mut. Wenn er nur irgendetwas hätte tun können! Voller Sehnsucht lauschte er dem gedämpften Getrampel an Deck. Dort oben zu sein, seine Pflicht zu erfüllen, hätte ihm zumindest die Illusion gegeben, alles unter Kontrolle zu haben.
Aber das Wissen, dass er oben an Deck mehr als nutzlos sein würde, hielt ihn ab – und die Überzeugung, dass Maura ihn brauchte.
“Ist ja gut,
Aira.”
Er hielt ihren Kopf, als ihr Magen wieder rebellierte und sie das Wenige, das sie gegessen hatte, in den Laderaum der Phantom spuckte. “Wenn erst einmal alles draußen ist, wirst du dich besser fühlen.”
Er besaß nicht genug Erfahrung auf See, um sich dessen sicher zu sein. Doch im Augenblick war er bereit, die größten Dummheiten zu sagen, wenn es Maura nur half. Am liebsten hätte er mit ihr getauscht. Lieber wollte er ihre Seekrankheit ertragen, als zusehen zu müssen, wie sie litt. Zweifellos hätte sie ihm besser zu helfen gewusst, geschickt, sanft und beruhigend – anders als er mit seinen rauen, ungeschickten Bemühungen.
Sie lehnte sich an ihn und rang nach Luft. “Es tut mir leid, Rath … hätte auf dich hören und zurück nach Windleford gehen sollen. Wem nützt es etwas … wenn wir hier draußen auf dem Meer sterben?”
“Still jetzt. Wir werden nicht sterben!” Hatte er je Worte ausgesprochen, an die er weniger glaubte? “Erinnere dich daran, was du mir über den Glauben an unser Schicksal gesagt hast! Nun, du
warst
bereits einmal tot, jedenfalls fast. Und doch kamst du zu mir zurück.”
Irgendwie zeigten seine zaghaften Überzeugungsversuche bei ihm selbst Wirkung – gerade so, als hätte ihm jemand in dieser sturmgepeitschten Nacht ein Seil zugeworfen, an dem er sich festhalten konnte. Er wusste allerdings nicht, woran das andere Ende befestigt sein mochte. Trotzdem wuchs in ihm im Laufe der Nacht die Gewissheit, dass es etwas Festes und Wahres sein musste.
Glücklicherweise fiel Maura schließlich in einen erschöpften Schlummer. Rath murmelte ein etwas wirres, aber von Herzen kommendes Dankgebet vor sich hin, das ihn in den Schlaf lullte, als der Sturm am schlimmsten war.
Einige Zeit später wachte er auf und stellte verwundert fest, dass er und Maura noch am Leben waren. Eine Weile saß er nur da, hielt sie in den Armen und genoss die einfachen Annehmlichkeiten wie Stille und Ruhe und das sanfte Licht, das durch die offene Luke drang. So wie damals in den Minen oder in der Mittsommernacht auf der Geheimen Lichtung spürte Rath wieder, wie ihn ein kraftvoller Glaube erfüllte. Er war ihm willkommen, auch wenn er wusste, dass dieses Gefühl nicht anhalten würde.
Etwas später begann Maura sich zu bewegen, reckte sich und öffnete die Augen. “Es ist so still”, flüsterte sie. “Sind wir im Jenseits?”
Rath lachte leise und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. “Deine Ohren lassen dich das vielleicht glauben,
Aira
, aber deine Augen und deine Nase werden dir die
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