Das Orakel von Margyle
mir immer besser als zuvor.”
Er machte einen raschen Rundgang über das Deck und suchte nach weiteren Verwundeten, die er zu Maura hinunterschicken könnte, fand aber keine mehr. Als er Gull fragte, schüttelte der Captain den Kopf und antwortete in einem Ton grimmigen Stolzes: “Die Han sind bessere Schwertkämpfer als Bogenschützen. Nur ein Schuss ist ihnen geglückt. Wir haben vier Mal so viele getroffen. Wisst Ihr, Landratte, langsam fange ich an zu glauben, dass wir hier doch noch lebend rauskommen.”
Gull riss heftig am Ruder und die Phantom scherte aus, um sich zwischen zwei weiteren Erzgaleeren durchzuquetschen.
Die wievielten waren es? Rath hatte den Überblick verloren. Er fragte sich, ob es überhaupt noch Erz in den Blutmondbergen gab, nachdem so viel abgebaut und verschifft worden war, seitdem die Han Umbria erobert hatten. Wie viele Männer hatten geschwitzt, geblutet und ihr Leben ausgehaucht, damit diese Flotte Jahr für Jahr mit ihrer hässlichen Fracht beladen werden konnte?
Er kochte vor Wut. Seine Faust juckte, er wünschte sich eine Waffe, mächtig genug, alles auszuradieren, aber noch nicht einmal die Han besaßen etwas so Zerstörerisches. Gulls raues Lachen riss Rath aus seinem sinnlosen Zorn. “Täuschen mich meine Augen oder ist das dort draußen, hinter diesen verfluchten Kähnen, etwa die offene See?”
Raths Wut ließ für einen Augenblick nach. Angestrengt starrte er voraus. “Ich bin nur eine Landratte, also werdet Ihr mir wohl nicht glauben. Aber für mich sieht das dem offenen Meer ziemlich ähnlich.”
Etwas im Ton von Gulls Gelächter sagte Rath, dass es teilweise an ihn gerichtet war. “Ich
will
Euch glauben. Und ich denke mal, ich sollte einen besseren Namen für Euch finden … Freund.”
“Das hört sich gut an.”
Gull dachte eine Weile nach, dann grinste er. “Finde ich auch. Und wenn ich daran denke, dass das alles die Idee eines hübschen Mädchens war! Wenn Ihr ihrer jemals überdrüssig sein solltet …”
“Eher wird die Dame meiner überdrüssig.” Auch wenn Rath die Worte im Scherz aussprach, versetzten sie ihm einen heftigen Stich. Doch er hatte keine Zeit, sich jetzt deswegen Gedanken zu machen, denn in diesem Moment durchbrach die Phantom die letzte Reihe der Galeeren.
“Verflucht!” murmelte Gull. “Nichts ist jemals so einfach, wie man denkt, oder?”
Rath blickte auf und sah einen letzten hanischen Aufschlitzer auf sie zusegeln.
“Wir haben das alles doch nicht überstanden, damit sie uns jetzt doch noch schnappen!” Gull packte Rath am Arm und schleppte ihn zum Steuerruder. “Haltet das hier und zieht es so weit in diese Richtung, bis ich Euch irgendetwas anderes sage, aye?”
“Aye!” Rath musste sich sehr anstrengen, das Ruder in der angegebenen Weise zu halten. Bei Gull hatte es so leicht ausgesehen.
Inzwischen schritt der Captain übers Deck und befahl, Segel zu setzen. Aus dem wenigen, was Rath über Wind und Segel gelernt hatte, schloss er, dass Gull die Phantom auf einen Kurs bringen wollte, der das hanische Schiff zwang, aus dem Wind zu scheren. Aber würde der Aufschlitzer schnell genug an Geschwindigkeit verlieren, um das kleinere Schiff nicht mehr rammen zu können?
Mit jedem Augenblick, in dem er sich bemühte, das Ruder festzuhalten, wuchs seine Furcht, sie könnten es nicht schaffen. Er sah zur Luke und wünschte sich, Maura stiege heraus, um vielleicht etwas zu suchen, das sie für den verletzten Mann brauchte. Nachdem die Gefahr jetzt so nah war, wollte er Maura bei sich haben, damit er sicher sein konnte, dass mit ihr alles in Ordnung war. Und damit er alles zu ihrem Schutz tun konnte, sollte es zum Äußersten kommen.
Er wagte nicht, seinen Posten zu verlassen, stattdessen schmiedete er hektisch Pläne, wie er sie möglichst schnell erreichen konnte, falls die Han Gulls Schiff enterten oder der eiserne Schiffsschnabel sie volle Breitseite erwischte. Als Letzteres mehr und mehr wahrscheinlich zu werden schien, machte Rath sich auf den Zusammenstoß gefasst. Doch da kehrte das hanische Kampfschiff plötzlich auf seinen alten Kurs zurück und die Phantom glitt an ihm vorbei.
Rath sackte unter dem warmen Gefühl der Erleichterung zusammen – so sehr, dass er fast das Steuerruder losgelassen hätte. Wieso waren die Han im letzten Moment zurückgeschreckt? Einen Zusammenstoß mit Gulls kleiner Phantom hatten sie sicher nicht gefürchtet.
Konnte es das Werk des Schicksals sein?
Bald erschien Gull und beantwortete
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