Das Orakel von Margyle
vorbeigerannt waren. Und er dachte an ein kleines Scharmützel mit den Han beim Raynorsgraben und den Einfall, den er damals gehabt hatte. Wer hätte gedacht, dass er lange genug leben würde, um diese Idee irgendwann noch einmal auszuprobieren.
Doch er hatte überlebt und jetzt war die Gelegenheit gekommen.
“Hast du noch etwas Irrsinnsfarn in deinem Schultergürtel?”, fragte er Maura.
Sie reagierte mit Erstaunen. “Zwei oder drei Taschen voll. Warum?”
“Komm!” Er zog sie zu Captain Gull. “Vielleicht gibt es doch etwas, womit wir helfen können.”
Das beste Gegenmittel, das er je gegen das Gift des Zweifels und der Furcht entdeckt hatte, war Handeln.
“Seid Ihr verrückt?”, fragte Gull, als Rath sich erkundigte, ob es Bogen an Bord des Schiffes gäbe. Er deutete auf die ersten Erzgaleeren, die jetzt nahe genug waren, um mit ihrer Größe auch dem mutigsten Herzen kaltes Entsetzen einzujagen. “Denkt Ihr vielleicht, diese Riesen da spüren so ein paar Nadelstiche?”
Entweder hatte deren Mannschaften nicht gesehen, wie das kleine Holzschiff gewendet hatte, um sie anzugreifen, oder die Besatzung wollte ihren Augen nicht trauen. Rath neigte zu Letzterem. So rasch wie möglich erklärte er, wie man mit Mauras Irrsinnsfarn Verwirrung stiften konnte.
“Nun gut”, zischte Gull zwischen zwei Befehlen, “wir haben Bogen, aber ich bin kein solcher Narr, Euch einen in die Hand zu geben.”
Er rief vier seiner Männer heran, wies sie an, sich zu bewaffnen und Raths Befehlen zu folgen … vorausgesetzt, diese Befehle gefährdeten nicht sein Schiff.
Als die Männer davonstürmten, um die Bogen zu holen, wandte Rath sich an Maura. “Hast du noch etwas von dem Leinen, mit dem man Wunden verbindet?”
Sie fragte erst gar nicht, wozu er es brauchte. Stattdessen hob sie die Klappe einer großen Tasche am Ende ihres Schultergürtels und zog eine Rolle des gebleichten Stoffs hervor. Rath begann, ihn in kleine Fetzen zu reißen, die er Maura reichte. Sie legte eine tüchtige Prise Irrsinnsfarn auf jedes Stückchen Stoff und band alles sorgfältig mit einem Faden zusammen, den sie aus dem zerrissenen Rand des Verbandsmaterials gezogen hatte.
“Vielleicht funktioniert es nicht”, murmelte sie, während sie das letzte Stückchen Faden verknotete.
“Das werden wir nie wissen, wenn wir es nicht versuchen.” Genau genommen war es Rath gar nicht so wichtig, ob sein Plan funktionierte oder nicht, solange er nur seine und Mauras Gedanken von der Gefahr ablenkte, in der sie schwebten.
Die Phantom schlüpfte gerade zwischen zwei Galeeren hindurch, als Rath das erste der kleinen Bündel voller Irrsinnsfarn an einer hölzernen Pfeilspitze befestigte. Der Bogenschütze zog eine Grimasse. “Mit dem Ding da an der Spitze wird er nicht richtig fliegen. Die Spitze eines Pfeils muss scharf sein, um die Luft zu durchschneiden.”
“Versuch dein Bestes.” Rath deutete auf den Mast eines vorbeisegelnden Hanschiffes. “Er muss nicht weit fliegen. Schieß ihn so hoch du kannst und versuche, etwas zu treffen, damit die Pfeilspitze das Bündel zum Platzen bringt.”
“Aye.” Der junge Bogenschütze schien nicht sehr überzeugt. Er schoss, und Maura begann, den Irrsinnsfarnzauber zu singen.
Rath hätte sich gern Gulls Fernrohr geliehen, um den Flug des Pfeils beobachten zu können. Er wollte sichergehen, dass er auch traf. Weil er aber bezweifelte, dass Gull es ihm leihen würde, und sowieso alles so schnell ging, schickte er nur ein Stoßgebet an den Allgeber. Dann bat er die anderen Schützen zu schießen, während die Phantom sich zwischen den Galeeren hindurchschlängelte. Bald war Mauras Vorrat an Irrsinnsfarn aufgebraucht. Ohne großen Erfolg, wie Rath sah.
Da stieß ihn plötzlich einer der Bogenschützen an. “Schaut mal zurück!”
Rath stellte sich auf die Zehen und reckte den Hals. Zuerst konnte er nichts Bemerkenswertes entdecken. Dann sah er, dass eine der Erzgaleeren, die sie passiert hatten, auf das Schiff an ihrer Seite zudriftete. Die andere Galeere machte nicht die geringste Anstrengung, einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dichter und dichter schoben sich die beiden riesigen Schiffe mit schwerfälliger Eleganz aufeinander zu, bis ihre Metallrümpfe sich mit donnerndem Dröhnen rammten.
An Deck der Phantom brach die Mannschaft in Hochrufe aus. Wie aus dem Nichts tauchten Hände auf und schlugen Rath auf den Rücken. Mit einem Mal betrachteten die Männer Maura mit dem Respekt, der ihr
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