Das Orakel von Margyle
waren, räusperte sich ein stämmiger Zauberer mit einem wilden Schopf roter Haare.
Idrygon forderte ihn auf, sich zu erheben. “Ihr wollt sprechen, Trochard?”
“Das will ich. Ich glaube, es gibt eine Frage, die uns alle am meisten beschäftigt.” Er drehte sich um und heftete einen ernsten Blick auf Maura. “Junge Frau, wollt Ihr uns damit sagen, dass
Ihr
die Auserkorene Königin seid?”
Sein ungläubiger Ton schockierte Maura. Von Rath und von Leuten wie Captain Gull hatte sie ihn erwartet. Doch sie war davon ausgegangen, dass die Zauberer der Vestanischen Inseln sie auf ihre Suche geschickt hatten. Wenn nun nicht einmal sie glaubten …?
“
Bin
ich die Auserkorene Königin?” Sie sah sie nacheinander an. “Ich dachte, ich wäre es. Ich tat, was … was
ich
glaubte, was getan werden sollte. Doch nun frage ich mich, ob es wirklich wahr sein kann.”
“Was getan werden sollte”, sagte Trochard. “Ich nehme an, Ihr meint damit, den Wartenden König zu finden.”
Bevor Maura antworten konnte, stand Rath auf und stellte sich neben sie. “Was soll das? Gab es für die Auserkorene Königin etwa noch eine andere Aufgabe?”
“Bitte, Rath”, murrte Maura zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Hatte er so schnell sein Versprechen vergessen, sich in der Ratskammer wie ein König zu benehmen? So gepflegt und in der vestanischen Tracht, die ihn zwang, sich sehr aufrecht zu halten, wirkte er mehr wie ein König, als sie je für möglich gehalten hätte.
Mit wenigen deutlichen Worten erzählte er dem Rat, wie Maura ihn gefunden und geheilt hatte, kurz nachdem der Botenvogel Langbards Hütte erreicht hatte. Er sprach vom Mord an Langbard und ihrer Flucht nach Prum, wo sie Exilda, die Hüterin der Landkarte, ebenfalls ermordet vorfanden. Herausfordernd blickte er sich um. “Die Echtroi scheinen dieser Legende mehr Glauben zu schenken als Ihr.”
Trochards Gesicht wurde röter als seine Haare. Dessen ungeachtet erzählte Rath den Rest ihrer Abenteuer. Maura bemerkte, wie die alten Mitglieder des Rats zusammenzuckten und erblassten, als sie von den Gefahren hörten, die sie hatten bestehen müssen, während jüngere Mitglieder wie Idrygon mit einem begierigen Leuchten in den Augen den Worten lauschten. Alle sahen völlig verblüfft aus, als Rath schließlich von seiner und Mauras Entdeckung auf der Geheimen Lichtung berichtete.
“Also seid Ihr der Wartende König?”, murmelte Madame Verise. “Wie kann das sein? Ihr lagt doch gar nicht hundert Jahre lang schlafend auf der Geheimen Lichtung.”
Rath schüttelte den Kopf und warf Maura aus den Augenwinkeln einen raschen Blick zu. Wie sollte er ihnen erklären, was sie selbst nicht ganz verstanden?
Da erhob sich Delyon von seinem Platz. “Ich glaube, ich kann es beantworten, wenn Ihr erlaubt.”
“Dann mal los.” Rath versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
“Wie die meisten von Euch wissen”, Delyon blickte sich um, “habe ich mehrere Jahre daran gearbeitet, unsere ältesten Schriftrollen zu entziffern, die in einer Sprache geschrieben sind, die aus einer Zeit vor Twara datiert. Meiner Meinung nach könnte das Große Geschlecht diese Sprache gesprochen haben, bevor die Entzweiung die Kinder von Umbria und die Kinder von Han getrennt hat.”
“Vermutungen!”, brummte Trochard laut genug, dass alle es vernehmen konnten. Delyon tat so, als hätte er nichts gehört. “Mein Studium dieser Werke brachte mich zu der Überzeugung, dass Königin Abrielle sich der Zauberwaffen Velorkens bediente, um ihren Zauber über König Elzaban zu legen.”
Trochard sprang auf. “Wir fordern Antworten, keine Märchen, Ihr junger Emporkömmling! Jeder weiß, dass Velorkens Zaubermittel während der Entzweiung zerstört wurden.”
Delyon ignorierte ihn. “Abrielle war eine mächtige Zauberin, weise über ihre Jahre hinaus. Sie hatte dem Orakel von Margyle als Novizin gedient. Ich denke, sie wusste oder sie fand heraus, wo sich Velorkens Zauberwaffen befanden, und benutzte sie, um Elzabans Geist in der Welt am Leben zu erhalten. Wenn ein kleines Kind oder eine Schwangere den Ewigen Wald betrat, konnte Elzabans Geist in diesem Körper wiedergeboren werden und so darauf warten, dass eine zukünftige Tochter Abrielles ihn zum vollen Leben erweckt.”
Ein erneutes Gemurmel folgte Delyons Erklärung. Manche Kommentare klangen feindlich und zweifelnd, andere vorsichtig zustimmend. Maura wusste nicht, was sie denken sollte. Hieß das nun,
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