Das Orakel von Margyle
eines Tages eben ein anderer Wartender König und eine andere Auserkorene Königin kommen.
8. KAPITEL
“U nd was hat das Orakel dir erzählt?”, fragte Maura am folgenden Abend, als sie und Rath sich auf das Abendessen in Idrygons Haus vorbereiteten. Rath fragte sich, ob das Abendessen in Idrygons Haushalt immer so eine formelle Angelegenheit war oder ob alles zu Ehren des königlichen Besuchs stattfand – auch wenn sie noch nicht gekrönt worden waren.
“Sag schon!”, hakte Maura nach. “Ließ es dich auch den Hügel hinaufgehen, um dich über das Schicksal zu belehren? Versprach es dir, dem Rat der Weisen zu erzählen, du seiest der
letzte
Wartende König?” Als er nicht sofort antwortete, wurde ihr Blick schließlich forschender. “Hat das Orakel in deine Zukunft gesehen?”
Oh ja, das hatte es. Und was es gesehen hatte, hatte Rath bis ins Mark getroffen. Er versuchte sich selbst einzureden, dass das gegenwärtige Orakel nur ein Kind war, auch wenn es die Erinnerungen zahlloser Generationen besitzen mochte. Vielleicht hatte es das, was auch immer es in seiner Zukunft erspäht hatte, falsch gedeutet.
Doch trotz all seiner Zweifel wuchs in ihm die Angst, dass das Kind tatsächlich wusste, was die Zukunft für ihn bereithielt. Er wünschte, es hätte dieses unangenehme Wissen für sich behalten, weil er befürchtete, dass die Prophezeiung nur eines bedeuten konnte – dass er Maura verlor.
Konnte der Allgeber so grausam sein, ihm sein spät gefundenes Glück wieder zu nehmen?
Mauras Stimme durchbrach sein Grübeln wie ein Sonnenstrahl die Dunkelheit eines Verlieses. “Das Orakel hat dir deine Zukunft vorausgesagt, nicht wahr? Komm schon, was hat es dir prophezeit? Deinem düsteren Gesichtsausdruck nach muss es sich um etwas Schreckliches handeln.”
“Ich schaue nicht düster drein!”, gab er zurück, bereute aber sofort seinen aufbrausenden Ton. “Nun gut, vielleicht doch. Aber nicht wegen deiner jungen Seherin.”
Nicht um alles in der Welt wollte er Maura mit der Prophezeiung belasten, die ihn bedrückte. Lieber wollte er die Sorge allein tragen. “Es ist nur wegen all diesem Gerede über eine Invasion und über diese Sache mit den verschiedenen Gruppen im Rat der Weisen, die sich gegeneinander ausspielen. Und ich glaubte immer, die Vestanischen Inseln wären so friedlich, bewohnt von Menschen, die gut miteinander auskommen und ganz sorglos leben!”
“Ich selbst kann auch nicht sagen, dass mir das gefällt.” Maura legte den Elfenbeinkamm aus der Hand, mit dem sie ihr widerspenstiges Haar wenigstens für kurze Zeit gebändigt hatte. “Aber ist es so schwer zu verstehen? Trochard und seine Anhänger kümmern sich nur um ihre eigenen Interessen … so wie ein gewisser Gesetzloser, den ich einst kannte.”
Rath brummte etwas in der Richtung, dass er in seiner Selbstsucht wenigstens aufrichtig gewesen wäre. Dann verrenkte er den Hals. “Kannst du mir helfen, diesen elenden Kragenknopf zu schließen, ohne dass ich dabei erwürgt werde? Dem Allgeber sei Dank, dass Idrygon plant, seine Soldaten ordentlich auszurüsten, damit sie sich bewegen können … und atmen.
“Wessen Soldaten?”, fragte Maura mit neckendem Unterton in der Stimme, während sie den elenden Knopf schloss. “Du wirst sie anführen – sind es dann nicht
deine
Soldaten?”
Rath schüttelte den Kopf und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. “Idrygon plant das alles schon seit einer ganzen Weile: Unterstützung suchen, Waffen horten, Männer trainieren. Die Armee wird unter seinem Kommando stehen und genauso will ich es haben. Was weiß ich schon über die Führung einer Streitmacht, die um einiges größer ist als der Haufen Gesetzloser, mit dem du mich in Betchwood gesehen hast. Denk dran, was mit den armen Teufeln passiert ist.”
“Es war nicht dein Fehler!”, erinnerte ihn Maura.
Rath versuchte so zu tun, als glaubte er ihr.
Sie wechselte schnell das Thema. “Zuerst kam es mir seltsam vor, dass Idrygon sich so sehr darum kümmert, was auf dem Festland geschieht.”
Rath war es genauso ergangen. Er hatte nicht geglaubt, dass Idrygon aus reiner Herzensgüte so lange schon Pläne schmiedete, das Festland zu befreien. Aber nachdem er ihren Gastgeber die letzten Tage beobachtet hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass der Mann der geborene Befehlshaber war, eine Rolle, für die auf den Inseln nur wenig Spielraum blieb. So wunderschön und friedlich es hier auch war, einem Mann mit Idrygons starker
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