Das Orakel von Margyle
weiterer glorreicher Sieg!” Idrygon atmete in tiefen Zügen die frische Bergluft ein. “Ich gestehe, dass ich meine Bedenken hatte, was dieses Wagnis betraf. Doch Ihr hattet recht, darauf zu bestehen. Ein Sieg über das größte Wahrzeichen der hanischen Besatzungsmacht – wie ich höre, hat sich im ganzen Königreich der Geist der Rebellion entzündet.”
“Bei Euch klingt es, als ginge es nur um die Wirkung.” Rath blickte über die weite Ebene von Westborne. “Für mich bedeutet es mehr.”
“Natürlich, Hoheit.” Idrygons Zustimmung klang etwas zu beflissen. “So ist es auch. Wir haben die am schlimmsten geknechteten Menschen Umbrias gerettet. Das ist eine heroische Tat. Eine Tat, von der noch Generationen erzählen und singen werden.
“Es mag ehrenwert sein.” Rath schüttelte den Kopf. “Aber heroisch?”
Der Aufstand damals, als er sich mit seiner kleinen Gruppe von Bergarbeitern die Freiheit erkämpft hatte, war heroisch gewesen. Das war der Stoff, aus dem Legenden entstanden. Bei diesem perfekt geplanten Überfall hatte doch das Ergebnis nie in Frage gestanden.
“Das war zu leicht für uns”, warnte Rath. “Ich vermute eine Falle.”
“Vielleicht hofften die Han, uns in Westborne in einen offenen Kampf verwickeln zu können”, sagte Idrygon. “Wenn, dann werden sie jetzt ganz schön überrascht sein.”
Ein junger vestanischer Soldat näherte sich Idrygon. “Herr, ein paar Festlandbewohner möchten mit Seiner Hoheit sprechen.”
Rath blickte auf und sah in einiger Entfernung drei Männer stehen, die mit einiger Verblüffung und Scheu zu ihm hinübersahen. Das hatte Rath inzwischen nur zu oft erlebt, und noch immer fühlte er sich unwohl, denn er verdiente ihre Ehrerbietung nicht. Der Erfolg dieser Invasion war Idrygons Verdienst, nicht seiner. Und was seine beeindruckende Erscheinung anging, handelte es sich dabei um nichts anderes als einen Zaubertrick. Es gab zwar Zeiten, da spürte er den Geist König Elzabans in sich, doch er war nicht der Wartende König, wie ihn diese Menschen sich erhofften.
“Sag ihnen, dass der König mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigt ist.” Idrygon zog Rath am Ärmel, um ihn zum Fortgehen zu bewegen. “Er darf nicht gestört werden. Wenn es dringend ist, werde ich selbst mit den Festlandbewohnern sprechen.”
Als Rath sich abwenden wollte, weckte etwas an den Männern seine Erinnerung. Konnte es sein? Anulf, Odger und der kleine Theto? Rath spürte, wie ihn das erste, aufrichtige Lächeln seit Wochen sein Herz erwärmte. Idrygons Hand abschüttelnd, ging er auf die Männer zu. Doch bereits nach nur zwei Schritten stellte sich Idrygon ihm in den Weg.
“Hoheit, was tut Ihr?”
“Das ist schon in Ordnung, Idrygon. Das sind meine Kameraden aus den Minen. Nicht zu denken, dass sie hierhergekommen sind!” Seine Kehle schnürte sich zu.
“Sie kennen Euch als Rath Talward?” Idrygons Augen weiteten sich und er blähte die Nasenflügel. “Bring sie fort von hier!”, befahl er den jungen Soldaten. “Ich werde kommen und kurz mit ihnen sprechen.”
Leise fluchend dirigierte er Rath zu einem etwas entfernten Felsvorsprung. “Ihr wolltet mit ihnen sprechen? Seid Ihr verrückt geworden?”
“Was ist daran verrückt? Natürlich will ich mit ihnen sprechen. Sie einladen, heute Abend mit mir zu essen und zu trinken. Es sind gute Burschen … die besten. Wenn ich eine ganze Armee von ihrer Sorte hätte, könnte ich die Han ohne diesen Stab besiegen.”
“Ihr seid tatsächlich verrückt geworden!” Idrygon schüttelte so heftig und schnell den Kopf, dass Rath sich wunderte, dass er vor Schwindel nicht ohnmächtig wurde. “Es muss an dieser Gebirgsluft liegen. Ihr wisst doch, wir können es uns nicht leisten, dass irgendjemand in Euch den Gesetzlosen Rath Talward wiedererkennt.”
“Ist das alles, wovor Ihr Angst habt?”, lachte Rath. Das unerwartete Auftauchen seiner Freunde hatte ihn in beste Stimmung versetzt. “Wenn ich es von ihnen verlange, werden Anulf und die anderen den Mund halten. Ich würde jedem von ihnen mein Leben anvertrauen.”
“Das ist ja alles schön und gut. Aber
ich
vertraue ihnen nicht den Erfolg dieses Krieges an.”
“Wollt Ihr mir verbieten, mit meinen Freunden zu sprechen, Idrygon?”
“Ja! Genau das beabsichtige ich. Aber es ist kein Verbot, Hoheit, sondern eine Bitte. Ist der Krieg erst einmal gewonnen, könnt Ihr jede Nacht mit ihnen oder mit wem auch immer trinken. Für jetzt habt Ihr zugestimmt, den
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