Das Orakel von Margyle
legendären Helden zu spielen, und es funktioniert. Setzt jetzt nicht im kritischsten Augenblick alles aufs Spiel, wofür wir hart gearbeitet haben.”
Rath sah von Idrygon zu Anulf und den anderen, die gerade weggeführt wurden. Er fühlte sich wie ein zerfranstes Seil während eines wütenden Seilziehens. Hinter Idrygon konnte er in der Ferne die Umrisse von Umbrias Hauptstadt ausmachen. War Maura dort unten und riskierte ihr Leben, um Velorkens Stab zu finden? Wie konnte er sich in diesem Moment darüber ärgern, dass er einen feuchtfröhlichen Abend mit seinen Freunden verschieben musste?
“Na gut.” Resigniert nickte er mit dem Kopf. “Rath Talward wird Euch keine Mühe mehr machen. Aber sorgt dafür, dass diese Burschen mit Respekt behandelt werden.”
Idrygon verbeugte sich vor ihm. “Ich wusste, dass ich mit Eurer Loyalität und Diskretion rechnen kann, Hoheit. Ich werde dafür sorgen, dass man Eure Freunde mit der Ehrerbietung behandelt, die sie verdienen.”
“Gut.” Als Idrygon ging und dabei ungeheuer erleichtert aussah, rief Rath noch hinter ihm her: “Sollten sie nach mir fragen, sagt ihnen, dass er für den König in einer besonderen Mission unterwegs ist und dass er nach Erledigung seiner Aufgabe erfreut sein wird, sie zu sehen.”
“Eine Botschaft von staatsmännischem Format, Hoheit. Ich werde erfreut sein, sie zu überbringen.”
Einige Zeit, nachdem Idrygon gegangen war, stand Rath immer noch da und blickte auf Venard hinunter. “Allgeber, beschütze sie und bringe sie zu mir zurück”, flüsterte er. “Überschreite ich deine Großherzigkeit, wenn ich so viel verlange?”
Vielleicht. Denn bisher hatte er das Geschenk ihrer Liebe nicht allzu gut behütet. Er schwor sich, diesen Fehler nie mehr zu begehen, falls er eine zweite Chance bekäme, die er eigentlich nicht verdiente.
“Solche Fehler wie letzte Nacht können wir uns nicht mehr leisten”, mahnte Maura Delyon am nächsten Morgen. “Wir können nicht damit rechnen, eine zweite Chance zu bekommen, wenn wir nicht vorsichtig sind.”
Delyon sah von seiner Schriftrolle auf, die er beim Licht eines Grünfeuerzweigs studierte, der schon fast abgebrannt war. “Was ich letzte Nacht tat, war kein Fehler oder Leichtsinn. Ich wollte diese Rolle nicht aus den Augen verlieren. Was, wenn sie den Echtroi in die Hände gefallen wäre? Wie ich hörte, stecken die ihre Nase nur zu gern in alles.”
“Nicht in so etwas.” Maura versuchte, nicht an ihren leeren Magen zu denken.
“Wie könnt Ihr da sicher sein.” Delyon blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Zeichen seiner Rolle, als wollte er sie zwingen, ihm ihre Bedeutung preiszugeben. “Sie hätten das für eine verschlüsselte Botschaft an den Wartenden König halten können.”
Maura schnupperte. Die Küche musste ganz in der Nähe sein. Der Duft von gebratenem Fleisch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihr Magen knurrte schlimmer denn je. “Vielleicht habt Ihr recht. Trotzdem hättet Ihr mich warnen können, dann wäre ich nicht so überrascht gewesen.”
Der Zweig in Delyons Hand flackerte ein letztes Mal hellgrün auf und erlosch dann. Nun lag der Vorratskeller in völliger Dunkelheit.
Delyon seufzte. “Ich fürchtete schon, Ihr würdet sagen, das sei doch nur ein dummes Stück Pergament, nicht wert, dass wir den Kopf dafür riskieren.”
“Ich weiß doch, dass diese Schriftrolle sehr wichtig sein könnte.” Maura tastete sich zu ihm. Dabei bewegte sie sich sehr vorsichtig, um nichts umzuwerfen. “Aber ohne Euch, der sie entziffert, oder mich, die den Zauberspruch benutzt, dürfte sie keinem von großem Nutzen sein, oder?”
Sie setzte sich auf den Boden und wünschte, sie hätten eine hübsche, gemütliche Speisekammer als Versteck gewählt. Der erste Ort, an dem sie heute Nacht Jagd auf Velorkens Stab machen würden, wäre die Küche.
Delyons Stimme drang durch die Dunkelheit zu ihr. Sie klang bitter. “Ich mag kein so großer Stratege und Anführer wie mein Bruder sein, aber ich habe genauso hart gearbeitet, damit das Königreich in seiner früheren Herrlichkeit wiederauferstehen wird.”
“Ihr könnt Eure Herrlichkeit behalten.” Maura gähnte. “Solange wir in Frieden leben und eine gute Ernte haben, reicht es mir. Und jetzt lasst uns schlafen, damit wir für unsere Suche heute Nacht frisch und munter sind.”
“Schlaft Ihr.” Delyon sang leise die Grünfeuerbeschwörung. An dem frischen Zweig, den er in der Hand hielt, begann ein
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