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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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erzählten. Sagen wir in ein Meter fünfzig, sagen wir in zwei Meter Entfernung hatte Louis den Kopf eines strengen, unzugänglichen Wissenschaftlers, so wie die Typen in den Geschichtsbüchern. In ein Meter Entfernung war man sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher. Je näher man kam, desto stärker kippte es. Der Zeigefinger, mit dem er einem behutsam auf den Arm stupste, um eine Frage zu stellen, zog einem die Worte ganz von allein heraus. Mit Sonia hatte es nicht geklappt, was für eine dumme Pute. Sie hätte ihr ganzes Leben bei ihm bleiben sollen, nein, nicht ihr ganzes Leben, von Zeit zu Zeit mußte man unbedingt auch mal essen, zum Beispiel, na ja, sie verstand sich schon. Vielleicht hatte Sonia nicht von nahem geguckt, Marthe sah keine andere Erklärung. Ludwig fand sich häßlich, seit zwanzig Jahren erklärte sie ihm jetzt das Gegenteil, aber er fand sich trotzdem sehr häßlich, um so besser für ihn, wenn Frauen sich täuschten, sagte er. Das ist doch unerhört, so was zu hören – für sie, die Hunderte von Männern gekannt und nur vier geliebt hatte, also, sie konnte das beurteilen.
    »Grübelst du?« fragte Louis.
    »Magst du ein bißchen kaltes Huhn? Ich hab noch was in der Tasche.«
    »Ich habe mit Inspektor Lanquetot zu Abend gegessen.«
    »Das Huhn wird vergammeln.«
    »Pech.«
    »Es gibt kein Beispiel dafür, daß jemals kaltes Huhn weggeworfen worden wäre.«
    Marthe hatte die entwaffnende Gabe, beim kleinsten Anlaß unvermittelte Maximen zu äußern. Louis mochte das. Er besaß eine schöne Sammlung mit Sätzen von Marthe, und er hatte sich ihrer häufig bedient.
    »Gut, gehst du schlafen? Soll ich dich zurückbegleiten?«
    »Was mischst du dich da ein?«
    »Marthe, wiederholen wir nicht unaufhörlich dieselben Sätze. Du bist bockig wie ein Maultier und ich wie ein einzelgängerischer Wildesel. Warum hast du mir nichts gesagt?«
    »Ich bin in der Lage, allein zurechtzukommen. Ich habe mein Notizbuch. Sie werden was für mich finden, du wirst sehen. Die alte Marthe hat Mittel und Möglichkeiten, du bist nicht der liebe Gott.«
    »Dein Notizbuch, die ganze alte Hautevolee …«, seufzte Louis. »Und du glaubst, daß deine alte Hautevolee auch nur einen Finger für eine alte Nutte rührt, die gezwungen ist, den Winter unter einem Vordach zu verbringen?«
    »Ganz genau, für eine alte Nutte. Warum nicht?«
    »Du weißt, warum … Hast du es probiert? Ist was dabei herausgekommen? Nichts. Täusch ich mich?«
    »Und was weiter?« schimpfte Marthe.
    »Komm, meine Liebe. Wir werden nicht das ganze Leben auf diesem Metrobahnsteig verbringen.«
    »Wo gehen wir hin?«
    »In meinen Bunker. Und da ich nicht der liebe Gott bin, ähnelt das auch nicht im geringsten dem Paradies.«
    Louis zog Marthe in Richtung Treppen. Draußen kam man vor Kälte fast um. Sie gingen rasch durch die Straßen.
    »Deine Sachen holst du morgen«, sagte Louis, als er unweit der Arènes de Lutèce eine Tür im zweiten Stock öffnete. »Bring nicht alle Klamotten mit, das hier ist nicht eben geräumig.«
    Louis stellte die Heizung an, klappte ein Sofa auseinander, schob ein paar Kartons zur Seite. Marthe besah sich den kleinen Raum, der vollgestopft war mit Akten, Büchern, Papierstapeln und auf dem Holzboden aufgeschichteten Zeitungen.
    »Schnüffel bitte nicht überall herum«, sagte Louis. »Hier ist meine kleine Dépendance des Ministeriums. Fünfundzwanzig Jahre Ablagerungen, Tonnen von Fällen, die schief und krumm sind, auf die unterschiedlichste Art. Je weniger du davon weißt, desto besser geht’s dir.«
    »Gut«, erwiderte Marthe und setzte sich auf das schmale Bett. »Ich werd’s versuchen.«
    »Hast du hier alles, was du brauchst? Wird’s gehen? Wir werden uns drum kümmern, was anderes für dich zu finden, du wirst sehen. Wir werden das Geld dafür auftreiben.«
    »Du bist lieb, Ludwig«, sagte Marthe. »Immer wenn meine Mutter das zu jemandem sagte, fügte sie hinzu: ›Das wird dich zugrunde richten.‹ Weißt du, warum?«
    Louis lächelte.
    »Hier sind Zweitschlüssel. Paß auf, daß du beide Schlösser abschließt, wenn du gehst.«
    »Ich bin nicht blöd«, erwiderte Marthe und machte mit dem Kinn eine Bewegung zu den Regalen hin. »Ganz schön viele Leute in diesen Akten, nicht wahr? Mach dir keinen Kopf, ich werd gut auf sie aufpassen.«
    »Noch was, Marthe. Jeden Morgen von zehn bis zwölf kommt hier ein Typ vorbei. Dann solltest du auf sein. Aber du kannst dableiben, während er arbeitet, du wirst es

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