Das Orakel von Port-nicolas
werden. In der Bruchbude, in der er wohnte, { * } hatten sie drei weitere elektrische Heizöfen anschließen können.
Natürlich war er zunächst mißtrauisch gewesen. Gegenüber dem Bekannten seines Paten, der seine Fälle, als er noch Bulle war, auf seine eigene Art, eine sehr spezielle Art, gelöst hatte, mußte man immer mißtrauisch sein. Unter den Bekannten von Vandoosler dem Älteren war alles mögliche zu finden. In diesem Fall sollte es darum gehen, Zeitungsausschnitte für einen Freund von ihm zu ordnen, ohne den Inhalt der Regale anzurühren. Sein Patenonkel hatte ihm gesagt, daß es sich um eine vertrauensvolle Arbeit handle, daß Louis Kehlweiler kiloweise Informationen gestapelt habe und daß er jetzt, wo sie ihn aus dem Innenministerium rausgeworfen hatten, weiter staple. Ganz allein? hatte Marc gefragt. Schafft er das? Eben nicht, er schaffe es nicht, er brauche Hilfe.
Marc hatte gesagt, einverstanden, er würde nicht in den Akten herumstöbern, die wären ihm schnurz. Wären es mittelalterliche Archive gewesen, hätte die Sache natürlich anders ausgesehen. Aber Verbrechen, Listen, Namen, Seilschaften, Prozesse, nein, damit hatte er nichts am Hut. Ausgezeichnet, hatte der Pate gesagt, du kannst morgen anfangen. Sei um zehn in seinem Bunker, er wird’s dir erklären, vielleicht erzählt er dir die Geschichte von der Verwirrung und der Gewißheit, das ist das Thema seines Leben, er wird’s dir besser erklären als ich. Ich gehe runter, telefonieren.
Denn es gab immer noch kein Telefon im Haus. Acht Monate war es jetzt her, daß sie zu viert in diese Bruchbude gezogen waren, vier halb im wirtschaftlichen Ruin versunkene Männer mit dem unwahrscheinlichen Ziel, ihre Anstrengungen zu vereinen, um zu versuchen, da herauszukommen. Einstweilen erlaubte diese Vereinigung Ungewisse Phasen relativer Sicherheit, ohne mögliche Vorhersage über mehr als drei Monate. Zum Telefonieren ging man also zum Café hinunter.
Seit drei Wochen erledigte Marc nun gewissenhaft seine Sache, einschließlich Samstag, weil Zeitungen auch am Samstag erscheinen. Da er schnell las, hatte er rasch seinen täglichen Stapel beendet, der beträchtlich war, da Kehlweiler alle regionalen Zeitungen erhielt. Alles, was er zu tun hatte, war, darin die Strudel in der Welt des Verbrechens, der Politik, des Geschäfts, im zwielichtigen Milieu wie im Privatleben aufzuspüren und daraus einzelne Stapel anzulegen. In diesen Strudeln sollte das Kalte eher als das Heiße berücksichtigt werden, das Harte eher als das Weiche, das Unerbittliche eher als das Krampfhafte. Kehlweiler hatte die Sortieranweisungen abgekürzt, Marc Vandoosler brauchte man die Geschichte mit der linken und der rechten Hand nicht zu erzählen, Marc hatte das im Blut, er bestand ganz aus Effizienz und Verwirrung. Kehlweiler ließ ihm also alle Freiheiten bei der Zerbröselung der Zeitungen. Marc erstellte die nötigen Verweise, ordnete nach Themen, schnitt aus, legte in Ordnern ab und verfaßte einmal pro Woche einen kurzen Bericht. Kehlweiler gefiel ihm, aber er war sich noch nicht sicher. Er hatte ihn erst drei Mal gesehen, ein großer Typ, der ein steifes Bein hatte, das er leicht nachzog, mit einem schönen Gesicht, wenn man ihm ein bißchen näher kam. In manchen Augenblicken war er beeindruckend, manchmal ein bißchen zu sehr, das war unangenehm, und doch machte Kehlweiler alles mit Bedacht und langsam. Dennoch war Marc mit ihm noch nicht so richtig warm geworden. Instinktiv hielt er sich vor ihm zurück, und Marc hielt sich nicht gerne zurück, das nervte ihn. Wenn er zum Beispiel das Bedürfnis verspürte, sich aufzuregen, dann tat er sich nie einen Zwang an. Kehlweiler dagegen machte nicht den Eindruck, als sei er der Typ, sich aufzuregen. Was Marc irritierte, da er gerne Typen traf, die genauso ängstlich waren wie er oder, wenn möglich, noch schlimmer.
Eines Tages, dachte Marc, während er die beiden Schlösser an der Tür des Bunkers auf schloß, würde er versuchen aufzuhören, ständig genervt zu sein. Aber mit sechsunddreißig wußte er nicht so recht, wie.
Auf der Schwelle schrak er zusammen. Hinter seinem Schreibtisch war ein Bett aufgestellt, und darauf saß eine übermäßig geschminkte alte Frau, die ihr Buch hinlegte, um ihn anzusehen.
»Kommen Sie rein«, sagte Marthe. »Tun Sie, als sei ich nicht da. Ich bin Marthe. Sind Sie der, der hier für Ludwig arbeitet? Er hat Ihnen eine Nachricht dagelassen.«
Marc las die paar Zeilen, mit denen
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