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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Kehlweiler ihm die Situation erklärte. Gut und schön, aber wenn der glaubte, es sei einfach, zu arbeiten, wenn jemand einen Meter hinter einem sein Privatleben lebt, verdammt.
    Marc deutete einen kurzen Gruß an und setzte sich an seinen Tisch. Lieber gleich die Grenzen markieren, denn die Alte schien ihm von geschwätziger Art und neugierig auf alles zu sein. Kehlweiler mußte ja ziemliches Vertrauen haben, was seine Akten anging.
    Er spürte, daß sie ihn in seinem Rücken musterte, das machte ihn nervös. Er hatte sich Le Monde vorgenommen und hatte Mühe, sich zu konzentrieren.
    Marthe musterte den Typen von hinten. Vollständig schwarz gekleidet, enge Hose und Leinenjackett, Stiefel an den Füßen, die Haare ebenfalls schwarz, recht klein, ein bißchen zu schmal, von nervöser Art, gewandt, aber nicht sehr robust. Das Gesicht nicht übel, ein bißchen hager, ein bißchen indianisch, aber nicht übel, zierlich, mit Haltung. Gut. Das würde gehen. Sie würde ihn nicht stören, er gehörte zu der Art von Unruhigen, die allein sein müssen, um arbeiten zu können. Sie kannte sich aus mit Männern.
    Marthe stand auf und zog ihren Mantel an. Sie hatte noch Sachen zu holen.
    Marc hielt mitten in einer Zeile inne und drehte sich um.
    »Ludwig? Heißt er so?«
    »Aber ja doch«, erwiderte Marthe.
    »Er heißt nicht Ludwig.«
    »Doch, doch. Er heißt Louis. Louis, Ludwig, das ist derselbe Name, stimmt’s? Sie sind also der Neffe von Vandoosler? Von Armand Vandoosler? Als Kommissar war er klasse zu den Mädchen.«
    »Das wundert mich nicht«, sagte Marc barsch.
    Vandoosler der Ältere hatte sich nie zügeln können, er hatte ebenso hemmungslos verführt wie sorglos verlassen, er hatte sich amüsiert und in verschwenderischer Fülle sowohl geliebt als auch verwüstet, was Marc, der mit Frauen eher behutsam war, wütend kritisierte. Ein ständiger Anlaß für Wortgefechte.
    »Nie hat er eine Nutte geschlagen«, fuhr Marthe fort. »Wenn ich mit Ihrem Onkel zu tun hatte, haben wir geschwatzt. Geht’s ihm gut? Sie ähneln ihm eigentlich ein bißchen, wenn ich Sie mir genauer ansehe. Na, jetzt laß ich Sie arbeiten.«
    Marc stand auf, während er seinen Bleistift spitzte.
    »Und Kehlweiler? Warum nennen Sie ihn Ludwig?«
    Was ging ihn das eigentlich an?
    »Was stört Sie daran?« fragte Marthe. »Ist Ludwig kein guter Vorname?«
    »Doch, er ist nicht schlecht.«
    »Ich finde es besser als Louis. Louis … Louis … Das klingt im Französischen ein bißchen lächerlich.«
    Marthe knöpfte ihren Mantel zu.
    »Ja«, sagte Marc. »Woher stammt Kehlweiler? Aus Paris?«
    Was ging ihn das an, verdammt? Er brauchte die Alte nur gehen zu lassen, und fertig. Zusammen mit ihrem Mantel schien Marthe auch sich selbst zu verschließen.
    »Aus Paris?« fing Marc wieder an.
    »Vom Cher. Na und? Bis auf weiteres hat man doch wohl das Recht zu heißen, wie man will, oder?«
    Marc nickte, irgend etwas entglitt ihm.
    »Übrigens«, fuhr Marthe fort. »Was ist eigentlich Vandoosler?«
    »Belgisch.«
    »Na, also?«
    Marthe ging hinaus und hob dabei kurz die Hand. Ein Zeichen, das wohl auch »Halt ein bißchen die Klappe« bedeuten sollte, wenn Marc sich nicht täuschte.
    Marthe brummte vor sich hin, während sie die Treppe hinunterging. Zu neugierig, zu geschwätzig, dieser Typ, so wie sie. Na ja, wenn Ludwig ihm vertraute, war das seine Sache.
    Etwas beunruhigt setzte sich Marc wieder. Daß Kehlweiler im Innenministerium gearbeitet hatte, o.k. Daß er fortfuhr, sich in alles einzumischen, und sich diese verrückte Archiviererei aufbürdete, schien ihm unzusammenhängend, ohne Sinn und Verstand. Große Worte erklären nicht alles. Hinter großen Worten verbergen sich häufig kleine, noch nicht erfolgte persönliche Abrechnungen, die manchmal gerecht, manchmal schäbig sind. Er hob den Blick zu den Regalen, wo sich die Archivschachteln drängten. Nein. Er hatte immer Wort gehalten, er war ein aufrichtiger Kerl, so aufrichtig, daß er alle mit seinem Geschwätz eines Aufrichtigen ermüdete, er würde jetzt nicht anfangen zu schnüffeln. Er hatte nicht so viele gute Eigenschaften, daß er sich erlauben konnte, eine zu opfern.

8
    Louis Kehlweiler hatte einen Teil der Nacht mit Nachdenken zugebracht. Am vergangenen Abend hatte er alle gezählt, die ihren Hund auf dem kleinen Platz neben Bank 102 ausführten. Mindestens zehn, ein höllisches Kommen und Gehen von pinkelnden Hunden und folgsamen Herrchen. Von halb elf bis Mitternacht hatte er die

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