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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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klettern. Ich laufe dem Mittelalter hinterher, aber nicht den Leuten.«
    Jetzt würde Kehlweiler sich aufregen, das wäre normal. Dieser Typ war noch bescheuerter als sein Onkel. Alle Künstler sind bescheuert. Künstler, die sich in Malerei vertiefen, ins Mittelalter, in Bildhauerei, Kriminologie, alle bescheuert, er kannte sich da aus.
    Aber Kehlweiler regte sich nicht auf. Er setzte sich langsam wieder auf die Bank.
    »Einverstanden«, sagte er nur. »Vergiß es, es hat keine Bedeutung.«
    Er beförderte das zusammengeknüllte Zeitungspapier wieder in seine Tasche.
    Gut. Marc brauchte nur noch zu machen, was er wollte, ins Café gehen, sich aufwärmen, eine Kleinigkeit essen und in die Baracke zurückgehen. Er sagte Auf Wiedersehen und ging mit großen Schritten in Richtung Avenue davon.

9
    Marc Vandoosler hatte auf der Straße ein Sandwich gegessen und war am frühen Nachmittag in sein Zimmer zurückgekehrt. Niemand in der Baracke. Lucien hielt irgendwo einen Vortrag über wer weiß welchen Aspekt des Ersten Weltkrieges, Mathias sortierte die Funde seiner Herbstgrabungen im Keller eines Museums, und Vandoosler der Ältere war sicher spazierengegangen. Der Pate mußte immer draußen sein, und Kälte störte ihn dabei nicht im geringsten.
    Schade, Marc hätte ihm gern ein paar Fragen zu Louis Kehlweiler gestellt, zu seinen unverständlichen Treibjagden und seinen austauschbaren Vornamen. Einfach so. Es war ihm egal, aber es war einfach so. Na ja, das konnte auch warten.
    Er saß gerade über einem Bündel burgundischer Akten, über Akten aus Saint-Amand en-Puisaye, um genau zu sein. Er hatte den Auftrag, ein Kapitel eines Buches über die Wirtschaft Burgunds im 13. Jahrhundert zu schreiben. Marc würde mit diesem verdammten Mittelalter weitermachen, bis er davon leben könnte, das hatte er sich geschworen. Nicht wirklich geschworen, er hatte es sich gesagt. Wie auch immer, jedenfalls war es das einzige, was ihm ein kleines bißchen Flügel verlieh, sagen wir zumindest ein paar Federn, das und die Frauen, in die er verliebt gewesen war. Heute waren sie alle verloren, selbst seine Frau, die ihn verlassen hatte. Er war sicher zu nervös, das schreckte sie ab. Wenn er genauso ruhig wirken würde wie Kehlweiler, hätte es vielleicht besser funktioniert. Auch wenn er Kehlweiler im Verdacht hatte, gar nicht so ruhig zu sein, wie es den Anschein hatte. Langsam, das bestimmt. Und auch wieder nicht. Von Zeit zu Zeit wandte er den anderen mit einer seltsamen Schnelligkeit den Kopf zu. Auf jeden Fall ruhig, aber nicht immer. Sein Gesicht verzerrte sich manchmal heftig, oder die Augen blickten ins Leere, und daher war das alles nicht ganz so einfach. Wer hatte übrigens behauptet, es sei einfach? Niemand. Dieser Typ, der ausgehend von einem x-beliebigen Haufen Hundescheiße irgendwelche unwahrscheinlichen Mörder suchte, lief sicher ebensowenig rund wie alle anderen. Aber er vermittelte den Eindruck, ruhig zu sein, und sogar stark, und Marc hätte das auch gern gekonnt. Das müßte bei Frauen besser funktionieren. Schluß jetzt mit den Frauen. Schon seit Monaten war er allein, es war nicht nötig, ständig Salz in die Wunden zu streuen, Mist.
    Also die Rechnungsbücher des Seigneurs von Saint-Amand. Er war jetzt bei den Einnahmen der Scheunen, Zahlenkolonnen aus den Jahren 1245 bis 1256, die erhalten geblieben waren, mit Lücken. Das war schon viel, ein vollständiges kleines Stück Burgund in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Das heißt, bei Kehlweiler gab es auch noch sein Gesicht. Das zählt. Von nahem zog einen dieses Gesicht ganz sanft an. Eine Frau hätte besser sagen können, ob es die Augen, die Lippen, die Nase oder dieses in Verbindung mit jenem wäre, aber Ergebnis war, daß es aus der Nähe wirklich lohnte. Wenn er eine Frau gewesen wäre, wäre er damit einverstanden gewesen. Ja, aber er war ein Mann, also war das idiotisch, und er liebte nur Frauen, ebenfalls ziemlich idiotisch, weil die Frauen nicht den Eindruck machten, als können sie sich entschließen, nur ihn auf Erden zu lieben.
    Mist. Marc stand auf, ging in die große Küche hinunter, die im November ziemlich eisig war, und machte sich einen Tee. Mit dem Tee würde er sich auf die Scheunen des Seigneurs von Puisaye konzentrieren können.
    Nichts wies übrigens darauf hin, daß die Frauen auf Kehlweiler flogen. Denn von weitem gesehen merkte man gar nicht, daß er schön war, eigentlich überhaupt nicht, eher abweisend. Und es schien Marc, als sei

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