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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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unbebautes Gelände. In diesem Fall ist es vorstellbar, daß ein Hund vorbeikommt. Der Hund frißt, verdaut, scheidet aus, und der sintflutartige Regen von neulich nacht wäscht das ab.«
    »Eine auf einem unbebauten Gelände vergessene Leiche bedeutet nicht unbedingt Mord.«
    »Aber der Knochen kommt aus Paris, das ist es, was mich irritiert. Pariser Hunde schnüffeln nicht weit von ihrer Wohnung, und in der Stadt bleibt eine Leiche nicht lange unbemerkt. Man hätte sie bereits finden müssen. Ich habe Inspektor Lanquetot heute morgen noch einmal gesehen, noch immer nichts, nicht die geringste Leiche in der Hauptstadt. Auch keine Vermißtenmeldung. Und die Routineuntersuchungen in Folge von Sterbefällen Alleinstehender haben auch nichts Besonderes ergeben. Ich habe den Knochen Donnerstag abend gefunden. Das ist drei Tage her. Nein, Marc, das ist nicht normal.«
    Marc fragte sich, warum Kehlweiler ihm das alles erzählte.
    Er hatte übrigens nichts dagegen. Es war angenehm, Kehlweiler reden zu hören, er hatte eine ruhige, tiefe, die Nerven ausgesprochen beruhigende Stimme. Gut und schön, aber mit der Hundescheiße hatte er nichts zu schaffen. Allmählich wurde es wirklich kalt auf der Bank, aber er wagte nicht zu sagen: »Mir ist kalt, ich verzieh mich«. Er mummelte sich in seine Jacke.
    »Ist dir kalt?« fragte Louis.
    »Ein bißchen.«
    »Mir auch. Es ist November, da kann man nichts machen.«
    Doch, dachte Marc, man kann ins Bistrot gehen. Aber natürlich war es heikel, über solche Sachen in einem Café zu reden.
    »Wir müssen noch abwarten«, bemerkte Kehlweiler. »Es gibt Leute, die trödeln acht Tage, bevor sie eine Vermißtenmeldung aufgeben.«
    »Ja«, erwiderte Marc. »Aber was hast du damit zu schaffen?«
    »Ich hab damit zu schaffen, daß ich das nicht normal finde, das sagte ich schon. Irgendwo gibt es einen dreckigen Mord, glaube ich. Dieser Knochen, diese Frau, dieser Mord, dieser Dreck stecken in meinem Kopf, und jetzt ist es zu spät, ich muß es wissen, ich muß es herausfinden.«
    »Das ist ein Laster«, sagte Marc.
    »Nein, das ist Kunst. Eine nicht zu unterdrückende Kunst, und zwar meine. Kennst du das nicht?«
    Ja, Marc kannte das, aber beim Mittelalter, nicht bei einem Zehenknochen auf einem Baumgitter.
    »Das ist meine«, wiederholte Kehlweiler. »Wenn acht Tage vergehen, und Paris nichts liefert, wird sich das Problem auf eigenartige Weise verschärfen.«
    »Natürlich. Ein Hund kann reisen.«
    »Ganz genau.«
    Kehlweiler faltete seinen langen Körper zusammen und erhob sich dann. Marc sah ihn von unten an.
    »Der Hund hat nachts Kilometer um Kilometer im Auto zurücklegen können!« bemerkte Kehlweiler. »Er hat in der Provinz einen Fuß fressen und ihn in Paris wieder ausscheiden können! Alles, was wir dank diesem Hund vermuten können, ist, daß es irgendwo eine Frauenleiche gibt, aber diese Leiche kann überall sein! Frankreich ist gar nicht so klein – wenn wir mal nur von Frankreich reden. Irgendwo ist eine Leiche, und man weiß nicht, wo man suchen soll …«
    »Verrückt, was man alles über einen Hundehaufen sagen kann«, murmelte Marc.
    »Ist dir in den Regionalzeitungen nicht irgendwas aufgefallen? Morde? Unfälle?«
    »Morde nicht. Unfälle wie gewöhnlich. Aber keine Geschichte mit Fuß, da bin ich mir sicher.«
    »Mach weiter mit dem Sichten und achte auf diese Geschichte, mit Fuß oder ohne.«
    »Gut«, sagte Marc und stand auf.
    Er hatte den Job verstanden, er hatte eisige Finger, er wollte sich verziehen.
    »Warte«, sagte Kehlweiler. »Ich brauche Hilfe, ich brauche einen Mann, der läuft. Ich bin durch mein Bein gebremst, ich kann diesen Knochen nicht ganz allein verfolgen. Wärst du damit einverstanden? Nur ein bißchen Hilfe für ein paar Tage. Aber ich hab nicht das Geld, dich zu bezahlen.«
    »Was soll ich denn machen?«
    »Die Stamm-Gassigänger von Bank 102 verfolgen. Die Namen notieren, die Adressen, die Reisen. Ich möchte nicht allzuviel Zeit verlieren – für den Fall, daß.«
    Die Idee gefiel Marc ganz und gar nicht. Er hatte für seinen Onkel schon mal den Späher gespielt, das reichte völlig. Das war nichts für ihn.
    »Mein Onkel sagt, du hättest Leute in Paris.«
    »Das sind ortsgebundene. Bistrotwirte, Zeitungsverkäufer, Bullen, Typen, die sich nicht bewegen. Sie beobachten und informieren mich, wenn es notwendig ist, aber sie sind nicht beweglich, verstehst du? Ich brauche einen Mann, der läuft.«
    »Ich laufe nicht. Ich kann nur auf Bäume

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