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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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besser zu lieben als diesmal. Louis verzog das Gesicht. Er liebte nicht leicht. Wie viele von all den Frauen, die er gehabt hatte – denn wenn man allein in seinem Auto ist, hat man das Recht zu sagen: »gehabt« hatte –, hatte er wirklich geliebt? Wirklich? Drei, drei und eine halbe. Nein, er war entschieden nicht sehr begabt. Oder es lag daran, daß er sich nicht mehr vordrängte. Er versuchte, gemäßigt zu lieben, ohne zu übertreiben, die komprimierte, dichte Liebe zu vermeiden. Denn er gehörte zu jenen Typen, die sich nach einer dichten und gescheiterten Liebe zwei Jahre lang kaputtmachen, die sich in Reue verhärten, bevor sie sich entscheiden, neu anzufangen. Aber da er sich auch auf die gemäßigte Liebe nicht stürzte, entschied er sich für lange Zeiten der Einsamkeit, die Marthe seine Eiszeiten nannte. Sie war dagegen. Wenn du dann ganz kalt bist, sagte sie, bist du auch nicht viel weiter gekommen.
    Louis lächelte. Mit der rechten Hand griff er nach einer Zigarette und zündete sie an. Jemand Neues suchen und lieben. Jemanden suchen, jemanden suchen, immer dieselbe Geschichte … Gut, es reichte jetzt, die Welt war wüst genug, er würde später dran denken, jetzt war erst mal Eiszeit.
    Er hielt auf einem Parkplatz und schloß die Augen. Zehn Minuten ausruhen. Auf jeden Fall war er allen Frauen, die in sein Leben getreten waren, ob geliebt oder nicht geliebt, dankbar dafür, in sein Leben getreten zu sein. Schließlich und endlich liebte er alle Frauen, denn wenn man allein in seinem Auto sitzt, hat man das Recht zu verallgemeinern, alle Frauen, und vor allem die drei und die halbe. Schließlich und endlich empfand er für sie eine unbestimmte Dankbarkeit, er bewunderte ihre Fähigkeit, die Männer zu lieben, eine Sache, die ihm verdammt schwierig erschien, und noch schwieriger, wenn einer häßlich war wie er. Mit seinen harten, abweisenden Zügen, bei denen er sich morgens so kurz wie nur möglich aufhielt, hätte er eigentlich sein ganzes Leben allein sein müssen. Aber in Wirklichkeit nicht. Es stimmte schon, nur Frauen schafften es, einen häßlichen Typen schön zu finden. Wirklich, ja, er empfand Dankbarkeit. Er hatte den Eindruck, daß es bei Marc mit Frauen auch nicht wirklich funktionierte. Ein Hektiker, der Sprößling von Vandoosler. Er hätte ihn mitnehmen können, gedacht hatte er daran, sie hätten im tiefsten Finistère gemeinsam nach Frauen gesucht. Aber er hatte gleich gespürt, wie Marc sich an seinem Tisch verkrampfte, als er von der Reise sprach. Für ihn hatte diese Knochengeschichte weder Hand noch Fuß, worin er sich täuschte, denn immerhin hatten sie ja schon ein Stückchen von dem Fuß. Aber das sah Marc noch nicht, entweder hatte er Angst durchzudrehen, oder die Vorstellung, irgendwas x-beliebiges zu tun, mißfiel Marc Vandoosler, solange er die Idee nicht als erster gehabt hatte. Deshalb hatte er ihn schließlich nicht darum gebeten. Und außerdem war Vandoosler der Jüngere genausogut in Paris am Platz, im Augenblick verlangte diese Sache nicht nach einem Mann, der läuft. Er hatte es für besser gehalten, ihn in Ruhe zu lassen, Marc knitterte leicht und war zugleich robust, so wie Leinen. Wenn man erst mit Stoffen anfing, was wäre dann er? Man müßte mal Marthe fragen.
    Louis schlief, den Kopf auf dem Lenkrad, auf einem Parkplatz ein.
    Um sieben Uhr abends kam er nach Port-Nicolas. Langsam fuhr er durch die Straßen des Hafens, um eine Vorstellung zu bekommen. Ein paar Fragen hier und da, der Ort war nicht sehr groß, nicht sehr schön, dann stellte er das Auto in unmittelbarer Nähe des Hauses von Lionel Sevran ab. Dieser Hund legte Hunderte Kilometer zurück, um Gassi zu gehen. Vielleicht wollte er ausschließlich in Paris Gassi gehen, ein versnobter Hund vielleicht.
    Er klingelte und wartete vor der verschlossenen Tür. Ein Freund hatte ihm gesagt, der große Unterschied zwischen Mensch und Tier, über den es nachzudenken gelte, bestehe darin, daß das Tier Türen öffnen könne, daß es sie aber niemals hinter sich schließen würde, niemals, der Mensch jedoch schon. Eine tiefe Verhaltenskluft. Louis lächelte, während er wartete.
    Eine Frau machte ihm auf. Instinktiv musterte Louis sie genau, taxierte, beurteilte, erwog, ob ja oder nein, oder vielleicht, einfach so, nur im Prinzip. Er ging mit allen Frauen so vor und war sich dessen nicht mal bewußt. Er fand diese Vorgehensweise abscheulich, aber der Analysator setzte sich gegen seinen Willen in Gang. Zu seiner

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