Das Orakel von Port-nicolas
die Auskunft, daß der Köter ständig abhaute und alles mögliche zurückbrachte. Sevran war mittlerweile bei der alten Sache mit dem Angeborenen und dem Anerzogenen und kam zu der Schlußfolgerung, mit einer ordentlichen Erziehung könne man einen Pitbull in ein Lamm verwandeln. Es sei denn, natürlich, man reize ihn, aber das sei ja bei allen Hunden so, nicht nur bei Pitbulls.
»Trotzdem hat er neulich Pierre angegriffen«, sagte Lina. »Und Pierre behauptet, er hätte ihn nicht gereizt.«
»Aber natürlich. Natürlich muß Pierre ihn gereizt haben.«
»Hat er stark zugebissen? Wo?«
»An der Wade, aber nicht tief.«
»Beißt er oft?«
»Aber nein. Er zeigt vor allem die Zähne. Es kommt selten vor, daß er angreift. Es sei denn, natürlich, man reizt ihn. Von Pierre abgesehen, hat er seit einem Jahr niemanden gebissen. Es stimmt allerdings, daß er Schaden anrichtet, wenn er abhaut. Er wirft Mülltonnen um, zerbeißt Fahrradreifen, nimmt Matratzen auseinander … Es stimmt, darin ist er stark. Aber das hat überhaupt nichts mit der Rasse zu tun.«
»Das sag ich doch«, bemerkte Lina. »Er hat uns schon viel an Entschädigungen gekostet. Und wenn er nichts kaputtmacht, rennt er zum Strand und wälzt sich in allem, was er finden kann, am liebsten vergammeltem Tang, vergammelten Vögeln, vergammelten Fischen, er stinkt wie die Pest, wenn er nach Hause kommt.«
»Hör mal, Liebes, das machen alle Hunde, und du machst ihn schließlich nicht sauber. Warten Sie, ich hole ihn.«
»Läuft er weit weg?« fragte Louis.
»Nicht sehr. Lionel findet ihn immer hier in der Gegend wieder, auf dem Strand oder am Ende des Dorfes oder auf der Müllkippe …«
Sie beugte sich zu Louis und murmelte:
»Mir macht er solche Angst, daß ich Lionel gebeten habe, ihn mitzunehmen, wenn er nach Paris fährt. Was Ihre Freundin angeht, so suchen Sie ihr lieber was anderes als einen Pitbull, das rate ich Ihnen. So was ist kein guter Hund, das ist eine teuflische Kreatur.«
Lionel Sevran kam mit dem Hund zurück, den er fest am Halsband hielt. Louis sah, wie Lina sich auf ihrem Stuhl anspannte und die Füße auf die Sprosse hochzog. Zwischen den Angelegenheiten im Keller und den Angelegenheiten des Hundes führte die Frau kein sonderlich entspanntes Leben.
»Los, Ringo, los, Hundchen. Der Herr will dich sehen.«
Sevran redete genauso blöde mit dem Hund wie er immer mit seiner Kröte. Louis war froh, Bufo im Auto gelassen zu haben, der Köter hätte sie mit einem Biß verschlungen. Man hätte meinen können, er habe zu viele Zähne, seine Fangzähne würden ihm die Lefzen auseinanderdrücken und gleich aus seinem unförmigen Maul hervortreten.
Sevran schubste den Pitbull zu Louis, der sich nicht sehr wohl fühlte. Der Hund mit dem großen Maul knurrte leise. Sie redeten noch von diesem und jenem, vom Alter des Hundes, vom Geschlecht des Hundes, von der Fortpflanzung des Hundes, vom Appetit des Hundes, alles vollkommen nervige Themen. Louis erkundigte sich nach einem Hotel, lehnte die Einladung zum Abendessen dankend ab und verabschiedete sich.
Er war verdrossen und unbefriedigt, als er das Haus verließ. Einzeln waren der Mann genau wie die Frau annehmbar, aber gemeinsam stimmte etwas nicht. Was den ausreißenden und Unrat verschlingenden Hund anging, so paßte das zunächst mal. Aber heute abend hatte Louis genug von dem Hund. Er suchte das einzige Hotel des kleinen Städtchens, ein großes, neues Hotel, groß genug, um sämtliche Sommergäste aufzunehmen. Nach allem, was er gesehen hatte, hatte Port-Nicolas keinen richtigen Sandstrand, nur schlammige Strandstreifen und unzugängliche Felsen.
Er aß rasch im Hotel, bezog ein Zimmer und schloß sich dort ein. Auf dem Nachttisch lagen ein paar Faltblätter und Prospekte, die nützlichen Adressen der Stadt. Der Prospekt war dünn, und Louis zwang sich zur Lektüre: der Fischfang, das Rathaus, Antiquitäten, Tauchgeräte, das Zentrum für Thalassotherapie, kulturelle Veranstaltungen, Foto von der Kirche, Foto von der neuen Straßenbeleuchtung. Louis gähnte. Er hatte seine Kindheit in einem Dorf im Departement Cher verbracht, zwar langweilte ihn dieser Kleinkram nicht, wohl aber die Prospekte. Sein Blick verharrte auf dem Team des Zentrums für Thalassotherapie. Er stand auf und sah sich das Foto unter der Lampe genauer an. Die Frau in der Mitte, die Frau des Besitzers, verdammt.
Er streckte sich auf dem Bett aus, die Hände im Nacken verschränkt. Er lächelte. Na gut, wenn sie
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