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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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häufig Besuche von Sammlern zu erhalten, wenn sie ihn derart gleichgültig empfangen hatten. Sevran mußte eine bekannte Instanz auf dem Markt sein, daß die Leute seinetwegen bis in die hinterste Bretagne kamen.
    Louis fuhr sich mit den Fingern durch seinen sehr kurzen Viertagebart. Manchmal rasierte er sich, manchmal nicht, um einen Schatten über sein zu stark vorragendes Kinn zu legen. Er widerstand der Versuchung, hinter einem richtigen Bart Zuflucht zu suchen, und optierte für diese schiefe Lösung, die das angriffslustige Kinn, das er nicht mochte, milderte. Es reichte jetzt, die Welt war wüst genug, er würde nicht die ganze Nacht mit seinem Kinnproblem verbringen, es gab Grenzen. Daß Lina Sevran ihn für einen Sammler gehalten hatte, war möglich, da sie bestimmt Dutzende vorbeikommen sah. Aber es schien ihm, als habe sie wirklich mit der Doppeldeutigkeit ihrer Worte gespielt, als habe sie vielleicht Spaß daran gefunden, zu sehen, wie ihm unbehaglich zumute wurde. Es war Bosheit in Erwägung zu ziehen. Man kann seine Langeweile mit Puzzles mildern oder auch mit Bosheit, wenn man eine Neigung dazu hat. Was den Ehemann anging, so gab es im Augenblick nichts über ihn zu sagen. Louis kam auf seinen ersten, positiven Eindruck zurück, abgesehen von dem Hund. Das war eine Mißachtung der vielfach beobachteten, bekannten Regel: Wie der Herr, so der Hund. Hier ähnelten sich Herr und Hund in keiner Weise, und das war höchst seltsam, denn sie schienen einander zu schätzen. Er mußte sich diese Ausnahme merken, denn es ist immer beruhigend für die Menschheit, zu sehen, daß Regeln nicht gelten.
    Er deckte die Maschine wieder zu, um sie freundlicherweise vor der Feuchtigkeit zu schützen – nicht, um die Spuren seines Eindringens zu beseitigen, da er die Schrauben, die den Riegel hielten, sowieso hatte entfernen müssen. Er ging wieder hinaus in die Nacht und drückte die Tür zu. Morgen würde Sevran das Eindringen bemerken und reagieren. Er selbst würde morgen dem Bürgermeister einen Besuch abstatten, um mehr über die alte Frau zu erfahren, die auf dem Strand gestorben war. Morgen würde er auch zum Zentrum für Thalassotherapie gehen, um die kleine Pauline zu besuchen. Er konnte sich zwar sagen, daß sie den Mann mit der niedrigen Stirn des Zasters wegen geheiratet hatte, aber sicher konnte er dessen nicht sein. Es wäre nicht das erste Mal, daß man ihm Typen vorzog, die er nie angerührt hätte. Aber trotzdem, da Pauline die dritte Frau war, die er geliebt hatte, ging ihm das ein bißchen an die Nieren. Was hatte Marthe gesagt? Keine Strafexpedition. Nein, natürlich, so ein Dreckskerl war er nicht. Aber es würde schwierig werden. Denn schließlich hatte er ganz schön gelitten, als sie gegangen war. Er hatte unvorstellbare Mengen Bier in sich hineingeschüttet, war dicker geworden und hatte sich in Erinnerungen gestürzt, die nicht verblassen wollten. Danach hatte es monatelanger Anstrengungen bedurft, bis er seinen Kopf und seinen Körper, der zu groß, aber korrekt und stabil war, im wesentlichen wiedergefunden hatte. Es würde schwierig werden.

12
    Kehlweiler stand zu spät auf, um noch im Hotel frühstücken zu können. Er rasierte sich fast vollständig und ging in den feinen Regen hinaus, der über dem Dorf niederging. Dorf war nicht das richtige Wort. Er hätte eher »Flecken« gesagt. Port-Nicolas mußte ein recht kompakter mittelalterlicher Hafenort gewesen sein, davon waren enge Straßen erhalten geblieben, die einen Typen wie Marc Vandoosler interessiert hätten, aber nicht ihn. Während er an Marc dachte, stieß er auf die Kirche, dann auf den Kalvarienberg, der ohne jeden Zweifel ein hübsches Ding war, auf dem es von in Stein gehauenen Ungeheuern und anderen Gemeinheiten, die geeignet waren, Schrecken in religiösen Seelen zu verbreiten, nur so wimmelte. Zwanzig Meter weiter rann Wasser aus einem halbzerstörten Granitbrunnen.
    Unter dem stärker werdenden Regen beugte sich Louis zur Seite, ein Bein angewinkelt, das andere steif, um seine Hand in das Rinnsal zu halten. Tausende von Menschen mußten zu diesem Wasser gekommen sein, um dort ihr Unglück hineinzutauchen, Heilung zu erbitten, Hilfe zu erbitten, Kinder zu erbitten, Rachepläne zu schmieden. Nach ein paar Jahrhunderten gibt das ein ganz schön aufgeladenes Wasser. Louis hatte Wunderbrunnen schon immer gemocht. Er dachte kurz daran, sein Knie hineinzutauchen. Obwohl nichts garantierte, daß dieser Brunnen ein Wunderbrunnen

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