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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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war. Aber in der Bretagne und in der Nähe eines Kalvarienberges war das ganz offensichtlich, soll man die Leute doch nicht für dumm verkaufen, der letzte Idiot erkennt einen Wunderbrunnen, wenn es denn einer ist. Die Ecke war schön, und Louis gefiel es dort. Sie überragte den Ort und von dort aus konnte er einen Teil der modernen Siedlung sehen. Port-Nicolas war zersplittert. Es bestand hier nur noch aus verstreuten Einfamilienhäuser, jeweils Hunderte Meter voneinander entfernt, mit einem Industriegebiet in der Ferne.
    Von dieser verwüsteten Ortschaft war nur noch ein zentraler Platz mit einem großen Steinkreuz übrig, das Hotel, das Café, das Rathaus und etwa zwanzig heruntergekommene Häuser. Der ganze Rest verteilte sich völlig ungeordnet darum herum, eine Autowerkstatt, Einfamilienhäuser, ein Supermarkt, das Zentrum für Thalassotherapie, abscheulich, alles hingeworfen, wie es gerade kam, eine Handvoll Dominosteine, die durch Straßen und Kreisel miteinander verbunden waren.
    Lieber mochte Louis den Wunderbrunnen, in den er weiter seine Hand tauchte, und die verwitterten Granitdämonen des Kalvarienberges. Er blieb dort unter dem Regen auf einem Stein sitzen, der aus dem niedrigen Gras ragte. Dort hinten, vor den Einfamilienhäusern liefen kleine Silhouetten umher, eine weitere vor dem Rathaus. Vielleicht der Bürgermeister, Michel Chevalier, Parteizugehörigkeit unbestimmt, abgelegt unter P wie »Parteilose«. Diese Unbestimmten hatten ihn immer aus der Fassung gebracht. Es waren häufig ein wenig blasse Typen, wie durch die Wäsche des Lebens eingelaufen, die in einem unbestimmten Zentrum Schutz gesucht hatten, Typen, deren Ende nicht vorhersehbar war. Louis faßte solche schwankenden Männer nicht. Vielleicht fragte sich der Bürgermeister jeden Tag, ob er braunes oder blondes Haar hatte, ob er ein Mann oder eine Frau war, ein Kerl, der bei den simpelsten Fragen zögerte. Aber er selbst zögerte ja auch, wenn man ihn fragte, woher er komme. Weiß es nicht, ohne Belang, Sohn des Rheins. Die Menschen verbrachten viel Zeit mit dem Versuch, sich gegenseitig den Rhein zu klauen, sie hatten ihn sogar in zwei Hälften geteilt. Wasser zu teilen, solchen Quatsch können sich nur Menschen ausdenken. Aber der Rhein war nirgends und gehörte niemandem, und er war der Sohn des Rheins, sein Vater hatte ihm das gesagt, unbestimmte Staatsangehörigkeit, die Welt war wüst genug, er würde jetzt nicht den ganzen Tag damit zubringen. Kurz und gut, der Vorteil, niemandem anzugehören, bestand darin, daß man jeder sein konnte. Wenn es ihm in den Sinn kam, und es kam ihm häufig in den Sinn, konnte er Türke, Chinese oder Berber sein, warum nicht, wenn ihm das gefiel, Indonesier, Malier, Feuerländer, sollte jeder, der damit nicht einverstanden war, es doch sagen, Sizilianer, Ire oder, natürlich, Franzose oder Deutscher. Das Praktischste daran war, daß man sich eine ganze Ahnengalerie leistete, die ebenso weitläufig wie nobel oder erbärmlich war.
    Louis zog die Hand aus dem Quellwasser und betrachtete sie. Während er sie an seiner durchnäßten Hose abwischte, dachte er zum tausendsten Mal, daß er jetzt fünfzig Jahre in Frankreich lebte und man ihn fünfzig Jahre »den Deutschen« nannte. Die Leute vergaßen nicht, und er auch nicht. Während er aufstand, dachte er, daß er den Alten anrufen müßte. Seit einem Monat hatte er nichts mehr von seinem Vater gehört. Der Alte dort in Lörrach, auf der anderen Seite des Rheins, würde sich amüsieren, wenn er erführe, wonach er suchte. Vom Brunnen aus ließ er den Blick über Port-Nicolas schweifen. Er wußte, warum er zögerte: Sollte er mit Pauline beginnen oder, bescheidener, mit dem Bürgermeister?

13
    Als Marc Vandoosler um zehn Uhr morgens zum Bunker kam, hatte er sich alle möglichen Antworten auf alle eventuellen Ansinnen von Louis Kehlweiler ausgedacht. Er trat also ruhig ein, umarmte Marthe und wunderte sich, keine Nachricht auf dem Schreibtisch vorzufinden. Sicher hatte Louis eine Mitteilung für ihn dagelassen, in der er ihn bat, mit ihm ans andere Ende des Landes zu rennen. Oder Marthe sollte die Mittelsperson spielen. Aber Marthe sagte nichts. Na schön, dann würde eben jeder schweigen, das war genausogut.
    Marc hatte einen Entschluß, sei er nun gut oder schlecht gewesen, noch nie länger als zehn Minuten aufrechterhalten. Die Ungeduld ließ ihn seine Vorsicht stets über den Haufen werfen, und selbst entschiedenster Trotz konnte in wenigen

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