Das Orakel von Port-nicolas
das da geheiratet hatte, wenn das da der Grund war, weshalb sie weggegangen war, dann war’s die Sache nicht wert. Nicht, daß er selbst ein Geschenk gewesen wäre. Aber dieser Mann mit der niedrigen Stirn, den schwarzen, zur Bürste aufgerichteten Haaren auf dem Schädel, dieser Mann mit der in ein Rechteck gezwungenen verdrossenen Visage war, offen gestanden, die Sache nicht wert. Ja, aber was war das Verletzendere? Sie im Bett eines fantastischen Typen wiederzufinden oder in dem eines Krämeraffen? Darüber ließ sich reden.
Louis nahm das Telefon und rief im Bunker an.
»Marthe, weck ich dich, meine Liebe?«
»Was denkst denn du … Ich sitze an einem Kreuzworträtsel.«
»Ich auch. Pauline hat das dicke Geld im Ort geheiratet, den Direktor des Zentrums für Thalassotherapie. Kannst du dir vorstellen, wie sie sich langweilen muß? Ich schick dir das Foto von dem Paar, das wird dich amüsieren.«
»Ein Zentrum für was?«
»Für Thalassotherapie. Eine Fabrik, um viel Zaster anzuhäufen, indem man die Leute mit Algen, Fischsaft, Jodpampe und anderem Quatsch beschmiert. Dasselbe wie ein Bad im Meer, aber hundertmal teurer.«
»Aha, nicht dumm. Und dein Hund?«
»Den habe ich gefunden. Ein abscheulicher Hund, voll mit Zähnen, aber ein sympathisches Herrchen, abgesehen von irgend so einer obsessionellen sexuellen Masche, die er in seinem Keller betreibt, das will ich sehen. Seine Frau ist etwas beunruhigend. Umgänglich, aber etwas frostig, oder eher leblos. Man könnte meinen, sie unterdrückt etwas, sie unterdrückt sich die ganze Zeit.«
»Wo ich dich gerade an der Strippe habe, Fluß in Rußland, mit zwei Buchstaben?«
»Der Ob, Marthe, der Ob, verdammt noch mal«, seufzte Louis. »Laß es dir auf die Hand tätowieren und red’ nicht mehr davon.«
»Danke, Ludwig, ich umarme dich. Hast du zu Abend gegessen? Ja? Also, ich umarme dich, und scheu dich nicht, mich nach Tips zu fragen. Du weißt, ich kenn mich aus mit Männern und auch …«
»Werde ich tun, Marthe. Schreib ›Ob‹, schlaf gut und hab ein Auge auf die Akten.«
Louis legte auf und beschloß augenblicklich, sich den Keller von Lionel Sevran anzusehen. Der hatte einen Zugang von außen, das hatte er beim Weggehen bemerkt, und Schlösser störten Louis nicht, es sei denn, es handelte sich um Dreipunktschlösser, ausgesprochen nervige Dinger, die Zeit, schweres Material und Ruhe erforderten.
Eine Viertelstunde später war er an der Tür. Es war nach elf, und die Umgebung war dunkel und ruhig. Der Keller wurde durch ein Schloß und einen Riegel geschützt, dafür brauchte er ein Weilchen. Des Hundes wegen arbeitete er, ohne Lärm zu machen. Sollte eine Frau unter der Decke liegen, so schlief sie jedenfalls fest. Aber Louis fing an zu zweifeln, daß es sich um eine Frau handelte. Oder aber er verstand nichts mehr von Frauen, weder von der im Keller noch von der Ehefrau oben, und dann konnte er den Beruf als Mann gleich aufgeben. Ja, aber was sonst? Die Sevrans hatten ohne alle Zweideutigkeit darüber gesprochen. Und doch lag in der Sache etwas Groteskes, und Louis gab sich mit Groteskem nicht zufrieden.
Die Tür gab nach, Louis stieg ein paar Stufen hinunter und zog sie leise hinter sich zu. Inmitten eines unvorstellbaren Durcheinanders stand ein großer Arbeitstisch, darauf lag eine abgewetzte Decke, die einen dicken, dunklen Haufen bildete. Er tastete, hob sie hoch, sah hin und schüttelte den Kopf. Ein Mißverständnis. Er haßte derlei Mißverständnisse, solche unnützen und schädlichen Intermezzi, und fragte sich, inwieweit Lina Sevran ihn nicht willentlich in seinem Irrtum bestärkt hatte.
Die Decke schützte nichts anderes als eine altertümliche Schreibmaschine vom Anfang des 20. Jahrhunderts, soweit er sich darin ein bißchen auskannte. In der Tat war sie, genau wie Lina gesagt hatte, behäbig, schwer wie eine Kuh und mußte gründlich gesäubert werden. Louis ließ seine Lampe über Lionel Sevrans Obsession wandern. In den Regalen, auf dem Boden, auf Gestellen, überall standen Dutzende von alten Schreibmaschinen, aber auch Teile von Grammophonen, Schalltrichter, alte Telephone, Trockner, Ventilatoren, Berge von Ersatzteilen, Schrauben, mechanische Arme, Kolben, Bakelitstücke – alles wild durcheinander. Louis ging zu der auf dem Tisch entblößten Maschine zurück. Das also war »die Neue«, die Sevran aufgelesen hatte. Und ihn, Louis, hatte man für einen Maschinensammler gehalten, das war offensichtlich; das Paar schien
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